Erfassung von Intermodalität über Smartphone-Tracking
NRVP 2020 - RadSpurenLeser

Ausgangssituation
In vielen deutschen Städten gibt es Hinweise auf einen bemerkenswerten Wandel: Die Menschen verzichten zunehmend auf einen privaten Pkw. Stattdessen nutzen sie situationsangepasst öffentliche Verkehrsmittel (ÖV), das Fahrrad oder greifen auf die steigende Zahl alternativer Mobilitätsdienstleistungen wie Car- und Bikesharing zurück. Gleichzeitig verschwimmen die Grenzen auf Angebotsebene zwischen den Verkehrsträgern zunehmend. Schwierigkeiten bereitet eine quantifizierende Evaluation der Wirkungen der Multimodalität. Auf Mobilitätstagebüchern basierende Stichtagsbefragungen können nicht mehr die notwendigen Daten liefern, um ein multimodales Mobilitätssystems bewerten zu können. Der individuelle Mobilitätsmix stellt Planer und Verkehrsunternehmen vor neue Herausforderungen. Es wird schwieriger zu beurteilen, welche Maßnahmen stadtverträglich, klimaschonend und wirtschaftlich sind.
Projektidee und Ziele
Das Projekt erfasste intermodales Verkehrsverhalten und ging der Frage nach, in welcher Weise ÖV und Fahrrad im Alltag kombiniert werden und wie die Kombination dieser Verkehrsmittel gefördert werden kann. Es wurden Fahrradnutzungen und die Einbeziehung von Fahrrädern in intermodale Reiseketten erfasst, vor allem bei der Verknüpfung mit dem ÖV. Dies erfolgte mit Hilfe von Smartphone-basiertem Tracking und ergänzenden Onlineumfragen in Berlin. Im Projektverlauf wurde erstmalig eine Datengrundlage für intermodale Reiseketten mit Radverkehrsanteil in Berlin geschaffen, die neben dem Verkehrsverhalten verschiedene soziodemographische Angaben und Einstellungen der Probanden enthält. Ziel war es, intermodales Verhalten zu verstehen und Auswirkungen auf die Verkehrsmittelnutzung zu eruieren. Tabellenbände, statistische und grafische Auswertungen sollen Grundlage für weitere Anschlussforschungen und operative Implementationen in dem Bereich sein. Darüber hinaus wurden Empfehlungen für Bezirks- und Kommunalverwaltungen, Verkehrsanbieter, Multiplikatoren (z.B. VDV, ADFC), Sharing-Anbieter und Infrastrukturunternehmen abgeleitet, die eine systematische Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen bei der Vernetzung der Verkehrsträger Fahrrad und Öffentlicher Personenverkehr ermöglichen sollen.
Projektdurchführung
Es wurden Wegeketten und damit das konkrete Mobilitätsverhalten von ca. 150 Radfahrenden in zwei Untersuchungszeiträumen von je einer Woche (Januar/Februar und April/Mai) in Berlin analysiert. Insgesamt wurden Mobilitätsdaten von über 6.000 Tagen und 270.000 Kilometern erhoben. Die Erhebung wurde in einem Panel-Design durchgeführt, d.h. in beiden Untersuchungszeiträumen nahmen die gleichen Personen teil. Durch dieses Design konnte der Einfluss der Jahreszeit auf das Nutzerverhalten untersucht werden. Weiterhin konnten somit Einflüsse wie z.B. eine Veränderung des Angebots von Fahrradabstellmöglichkeiten oder Änderungen im ÖV-Angebot betrachtet werden. Durch eine gleichzeitige Nutzerbefragung über das Webinterface wurden soziodemographische Charakteristika und mobilitätsbezogene Einstellungen erhoben, so dass im Rahmen eines Zielgruppenansatzes unterschiedliche Mobilitätstypen identifiziert werden konnten.
Die Aufzeichnung von Informationen zu intermodalen Wegeketten in hohem Detailgrad erfolgte über das App-basierte Erhebungstools modalyzer (www.modalyzer.com). Diese kostenlose App für Android-Geräte und iPhone zeichnet in einem definierten Erhebungszeitraum Mobilitätsmuster der Befragten auf. Automatisch wurden die gewählten Verkehrsmittel sowie zurückgelegte Distanzen und Reisedauern identifiziert und konnten räumlich und im Zeitverlauf analysiert werden. Verschlüsselte Datenübertragung und hohe Datenschutzstandards garantierten eine weitestgehende Anonymität der Befragten. Die Nutzer behielten zu jeder Zeit die Hoheit über ihre Daten: Sie konnten das Tracking innerhalb der App ein- oder ausschalten, ein Webinterface ermöglichte es, die aufgezeichneten Daten einzusehen und tageweise zu löschen; das Datenmanagement durch den Nutzer konnte jedoch auch alternativ über die App realisiert werden. Weiterhin konnten Etappen editiert, kommentiert und validiert werden.
Über dieses personenbezogene Mobilitätstracking war es nicht nur möglich, detaillierte Informationen über die Nutzung von Bike & Ride zu erhalten, sondern darüber hinaus auch zu erfahren, wie stark sich Routinen hierzu ausbilden. So war es möglich, komplette Wegeketten nachzuvollziehen und damit Aussagen über die Start- und Zielzeiten und die jeweiligen Verkehrsmittelwechsel zu erhalten. Die Untersuchungs-App ist bereits in verschiedenen Projekten für andere Fragestellungen etabliert und wurde im Rahmen dieses Projekts erstmals auf eine Untersuchung von Inter- und Multimodalität im Zusammenspiel von Fahrrad- und ÖV-Nutzung im urbanen Raum angewendet.
Nach Auswertung der Erhebungsdaten wurde zum Projektende eine Abschlussveranstaltung in Berlin organisiert, die den Wissenstransfer zu Akteuren aus Politik, Verbänden, Wissenschaft und Wirtschaft realisieren soll. Am 6. September 2016 wurden am InnoZ in Berlin die Ergebnisse präsentiert; Informationen zur Veranstaltung sowie die Vortragsfolien können heruntergeladen werden unter https://www.innoz.de/de/abschlussveranstaltung-radspurenleser-am-innoz
Die Methode kann nach Projektabschluss auch auf andere Städte und Gemeinden in Deutschland angewendet werden. Es soll geprüft werden inwiefern eine deutschlandweite Vergleichsstudie neue Erkenntnisse bringen kann.
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