Radverkehr in Fußgängerzonen
Mit dem Rad zum Einkauf in die Innenstadt - Konflikte und Potenziale bei der Öffnung von Fußgängerzonen für den Radverkehr

Ausgangslage
Fußgängerzonen prägen vielerorts das Bild deutscher Innenstädte. Hier sollen sich zu Fuß Gehende frei bewegen, aufhalten, einkaufen und entspannen können.
Auch für den Radverkehr stellen Innenstädte attraktive Ziele oder wichtige Korridore für Radverkehrsrouten da. Eine Öffnung von Fußgängerzonen für den Radverkehr unterliegt jedoch Restriktionen wie der baulichen Gestaltung (insbesondere in engen historischen Innenstädten), der Nutzung der vorhandenen Flächen durch Gastronomie und Auslagen des Einzelhandels sowie der Gewährleistung von Sicherheit und Komfort der zu Fuß Gehenden.
Ziel einer Öffnung von Fußgängerzonen ist die Attraktivierung des innerstädtischen Radverkehrs. Sind die entsprechenden Fußgängerzonen wenig frequentiert bzw. ist ausreichend Platz vorhanden, so ergibt sich in den allermeisten Fällen ein relativ konfliktarmes Nebeneinander beider Verkehrsarten. Häufig erfolgt die Freigabe für den Radverkehr in Fußgängerzonen zunächst testweise oder in räumlich und zeitlich begrenzten Modellvorhaben. Hauptziel hierbei ist die Schaffung von Akzeptanz für die Öffnung (ggf. auch räumlich und/oder zeitlich begrenzt) in der Bevölkerung sowie die Sammlung von Erfahrungen kombiniert mit der Möglichkeit zur Nachbesserung der festgelegten Regelungen. Jedoch besteht auch im Falle des Erfolgs die Notwendigkeit für weitere Kommunikation und Ansprache, um ein rücksichtsvolles Nebeneinander von Fuß- und Radverkehr zu erwirken.
Schwieriger ist die Öffnung von Fußgängerzonen für den Radverkehr in verwinkelten und engen historischen Innenstädten, insbesondere bei hoher Fußgänger-Frequentierung. Auf Grund der baulichen Enge und des damit erhöhten Konfliktpotenzials zwischen Fuß- und Radverkehr wird hier oftmals von einer Öffnung der Fußgängerzonen für den Radverkehr abgesehen. Umfassen diese Fußgängerzonen einen Großteil der Innenstadt wie z.B. in Erfurt oder Weimar, so können sich für den Radverkehr erhebliche Umwegfaktoren ergeben. Zudem leidet die Erreichbarkeit innerstädtischer Ziele wie des Einzelhandels, der Gastronomie und von Freizeiteinrichtungen. Radfahrende müssen oft erhebliche Wege zu Fuß in Kauf nehmen, um diese Ziele in innerstädtischen Fußgängerzonen zu erreichen.
Insgesamt scheint die Akzeptanz zeitlicher oder räumlicher Einschränkungen der Befahrbarkeit von Fußgängerzonen für den Radverkehr gering. Es kommt häufig zu Übertretungen des Verbots. Die Öffnung von Fußgängerzonen trägt daher oft den Charakter einer nachträglichen Legalisierung bereits existierender täglicher Praxis. Um das Fahrrad- und Fußverkehrsklima zu verbessern und damit auch die Attraktivität und Akzeptanz des Radverkehrs, sollte der Prozess der Fußgängerzonenöffnung aktiv über eine zielgruppenspezifische Öffentlichkeitsarbeit positiv gestaltet und unterstützt werden. Häufig fehlt es Kommunen dafür aber an finanziellen und personellen Mitteln sowie an dem nötigen Know-how.
Projektzielsetzung
Das Projekt zielte auf die Förderung des Radverkehrs in Innenstädten, speziell in Fußgängerzonen. Dabei stand das Suchen und Finden von Lösungen zur Entspannung des Konfliktfelds zwischen zu Fuß Gehenden und Radfahrenden bei der gemeinsamen Nutzung von innerstädtischen Fußgängerzonen im Sinne der Förderung einer umweltfreundlichen Nahmobilität im Vordergrund. Hinzu kam die Sensibilisierung des Einzelhandels, der Gastronomie und von Freizeiteinrichtungen für radfahrende Kunden in der Innenstadt, um insgesamt eine Akzeptanzsteigerung des Radverkehrs in innerstädtischen Fußgängerzonen zu erreichen. So sollten ein möglichst entspannter und gefahrloser Aufenthalt, Einkauf oder eine Durchquerung der Innenstädte zu Fuß oder mit dem Rad ggf. in Kombination mit dem ÖPNV für jegliche Art von Verkehrsteilnehmenden ermöglicht werden. Folgende Ziele standen damit konkret im Fokus des Projekts:
- Verbesserung der Erreichbarkeit und Durchfahrbarkeit von Fußgängerzonen in Innenstädten für den Radverkehr
- Abnahme von Konflikten zwischen Fußgängern und Radfahrenden in für den Radverkehr geöffneten Fußgängerzonen
- Sensibilisierung des Einzelhandels, der Gastronomie und von Freizeiteinrichtungen in Innenstädten für das Potenzial radfahrender Kunden und für deren Bedürfnisse
- Erstellung und Veröffentlichung eines Handlungsleitfadens zur Weitergabe der im Projekt gewonnenen Erkenntnisse an Planende in den Kommunen, Verbände und die interessierte Öffentlichkeit.
Das Themenfeld der Erschließung von Fußgängerzonen für den Radverkehr zeigte sich diffus - wie die Vielzahl der unterschiedlichen bestehenden Regelungen in Fußgängerzonen sowie zahlreiche Diskussionen in der örtlichen Tagespresse belegen. Daher setzte das vorliegende Projekt in starkem Maße auf kommunikative und informative Möglichkeiten - neben baulichen und organisatorischen Verbesserungsvorschlägen - um für Rücksichtnahme und angepasstes Verhalten in Fußgängerzonen zu werben. Hauptpunkt war dabei die Berücksichtigung des geringen Budgets von Kommunen. Auf kreative Art und Weise und unter Beteiligung verschiedener Akteure sollten spezifische Möglichkeiten und Handlungsspielräume von Kommunen zusammengetragen, überprüft und genutzt werden.
Partner
Die Umsetzung des Projekts erfolgte beispielhaft in einigen Modellkommunen. Insbesondere geeignet erschienen Kommunen mit großflächigen Fußgängerzonen, da hier die Barrierewirkung für den Radverkehr durch nicht durchgängig geöffnete Fußgängerzonen hoch ist. Elf Städte hatten insgesamt ihre Bereitschaft zur Mitwirkung signalisiert. Darüber hinaus wurde das Projekt vom Thüringer Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft (TMIL) finanziell und durch die Arbeitsgemeinschaft Fahrradfreundliche Kommunen in Thüringen (AGFK-TH) organisatorisch und inhaltlich unterstützt.
Bezüglich Fragen barrierefreier Gestaltung bestand eine Kooperation mit dem Blinden- und Sehbehindertenverband Thüringen e.V. (BSVT) sowie mit Dr. Markus Rebstock/FH Erfurt. Polizei und Gemeindeverwaltungen der jeweiligen Modellkommunen wurden an Ortsbegehungen, Beratungen und Maßnahmenabstimmungen beteiligt. IHK und Einzelhandelsverband wurden in Bezug auf die Ansprache des Einzelhandels einbezogen. Darüber hinaus bestand eine Kooperation mit dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club e.V. (ADFC) sowie mit dem Fachverband Fußverkehr Deutschland FUSS e.V.
Methodik
In allen Modellkommunen wurde zunächst die konkrete Problemlage in Form von Recherchen, Expertengesprächen und Vor-Ort-Begehungen erörtert. Im Ergebnis dieser Vor-Ort-Analysen erfolgte die Auswahl der Modellkommunen (Erfurt, Weimar, Gera, Leipzig, Offenbach a.M.) sowie die Festlegung durchzuführender Maßnahmen. Diese Maßnahmen konnten planerischer, baulicher, organisatorischer und/oder kommunikativer Art sein wie z.B. eine weitergehende Freigabe der Fußgängerzone für den Radverkehr und/oder die Durchführung der entwickelten Achtsamkeits-Kampagne RADSAM - achtsam mit dem Rad fahr'n!
Die Entwicklung, Erstellung und Durchführung dieser Kampagne stand u.a. im Fokus des Projektes - eine Low-Budget-Kampagne mit dem Ziel der Information und Sensibilisierung bezüglich gegenseitiger Rücksichtnahme von Radfahrenden und Fußgängern in innerstädtischen Fußgängerzonen. Sie wurde modellhaft entwickelt, mit dem Ziel einer Übertragbarkeit auf andere Kommunen mit ähnlichen Situationen. Mit geringen finanziellen Mitteln sollte eine breite Wirkung erzielt werden.
Die Erfolgskontrolle bzw. Wirksamkeitskontrolle der durchgeführten Maßnahmen erfolgte in allen ausgewählten Modellkommunen in Form einer Vorher-Nachher-Evaluation. Diese umfasste sowohl Beobachtungstechniken (z.B. Video-Technik) als auch Befragungstechniken (standardisierte empirische Befragung der Zielgruppen zu Fuß Gehende, Radfahrende und Kunden des Einzelhandels).
Zur Weitergabe der im Projekt gewonnenen Erkenntnisse an kommunale Planer, Verbände und die interessierte Öffentlichkeit erfolgte abschließend die Erstellung eines Handlungsleitfadens.
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