Erfassung und Analyse von Radverkehrsdaten zur Unterstützung der Infrastrukturoptimierung
ECOSense

Einleitung
Wie sich gerade in der Corona-Pandemie gezeigt hat, besteht vielerorts Bedarf an einer Verbesserung der Fahrradinfrastruktur, damit sich noch mehr Menschen für das Fahrrad anstelle des Autos entscheiden. Um Maßnahmen besser planen und begründen zu können, benötigen Kommunen bessere Datengrundlagen. Im Vergleich mit anderen Verkehrsmitteln ist die Datenlage zur Fahrradnutzung bislang noch begrenzt. Erste Ansätze stellen Informationen zum generellen Radverkehrsaufkommen, z.B. anhand kommunaler Fahrradzählstellen, bereit. Darüber hinaus kommen verstärkt Fahrrad-Apps zum Einsatz, um Erkenntnisse über die Fahrradnutzung in einer Stadt zu erhalten. Daten von Fahrrad-Apps haben aber möglicherweise nur eingeschränkte Aussagekraft, da sie mit tendenziell eher jüngeren Nutzern einen kleineren Teil der Radfahrer abbilden und eher in der Freizeit genutzt werden.
Um diese Forschungslücke zu schließen, wurde im Rahmen des Projekts ECOSense in Oldenburg eine Fahrradsensorik entwickelt und getestet, die verschiedene Parameter von Sensordaten (Position, Geschwindigkeit, Erschütterung, Umwelt) zur alltäglichen Fahrradnutzung erfasst. Die verbesserten Datengrundlagen sollen Entscheidungsträger aus der Verkehrsplanung bei ihrer Arbeit unterstützen und positiv zur Optimierung der Fahrradinfrastruktur beitragen. Darüber hinaus ermöglicht die Ausstattung der Fahrräder von Bürgerinnen und Bürgern mit Sensoren eine repräsentativere Erfassung des Zustands der Fahrradinfrastruktur und der Fahrradnutzung im Alltag. Wie das Projekt gezeigt hat, können mit einem sensorbasierten Ansatz bisher kaum betrachtete Gruppen von Radfahrenden, dabei insbesondere ältere Personen, angesprochen werden. Die interessierte Öffentlichkeit kann viel früher als bisher am Planungsprozess aktiv mitwirken, was eine verbesserte Akzeptanz und Transparenz von Fördermaßnahmen im Radverkehr erwarten lässt.
Durchführung
Bei diesem Projekt haben mit der baron mobility service GmbH, der CoSynth GmbH & Co. KG und der Universität Oldenburg (Abteilung für Wirtschaftsinformatik VLBA), Akteure aus Praxis und Forschung aus der Fahrradstadt Oldenburg eng zusammengearbeitet. baron ermöglichte als Firma im Bereich Fahrrad-Leasing unter der Marke mein-dienstrad.de die aktive Bürgerbeteiligung: So wurden verschiedenste Netzwerke genutzt, um Bürgerinnen und Bürger für die Projektteilnahme zu gewinnen. CoSynth verantwortete als Technologie-Partner die Konzeption und Entwicklung der Sensorplattform und die Datenaufnahme sowie -bereitstellung. Die Universität Oldenburg (Abteilung Wirtschaftsinformatik VLBA) hatte dann die Aufgabe, die Fahrraddaten der Sensorik aufzubereiten und auszuwerten. Das Projekt fand in enger Zusammenarbeit mit und unter Unterstützung der Stadt Oldenburg statt. Die Stadt im Nordwesten Deutschlands mit knapp 170.000 Einwohnern gilt als eine der führenden Fahrradstädte – mehr als 42 Prozent alle Wege werden mit dem Fahrrad zurückgelegt. Das Projekt stand in engem Austausch mit dem Fachdienst Verkehr hinsichtlich der Möglichkeiten, wie die Ergebnisse des Projekts in die kommunale Verkehrsplanung integriert werden können. Die Stadt Oldenburg hat darüber hinaus auch aktiv bei der Organisation von Veranstaltungen unterstützt. Dabei wurden zahlreiche externe Stakeholder in das Projekt einbezogen: Unter anderem wurde im Herbst 2019 mit etwa 40 Vertretern aus Kommunen, Verkehrsplanung, Unternehmen und Forschung ein gemeinsamer Innovationsworkshop durchgeführt, in dem der ECOSense-Ansatz diskutiert und weiterer Forschungsbedarf identifiziert wurde.
Am Beginn des Projekts standen Entwicklung und Produktion von 200 Sensoren zur Erfassung von GPS, Beschleunigungs-/ Erschütterungsdaten sowie umweltrelevanter Daten (u.a. Luftfeuchtigkeit, Temperatur). Um einen Sensor zu entwickeln, der den Ansprüchen relevanter Zielgruppen wie Kommunen und Planungsbüros gerecht wird, wurde zu Beginn des Projekts ein interner Workshop durchgeführt. Auf Basis der definierten Anforderungen und der im Projekt gesetzten Ziele wurde anschließend die genaue Ausgestaltung der Sensoren festgelegt. Der Sensor misst das GPS-Signal sowie Beschleunigung, Position und Ausrichtung des Fahrrads. Das GPS dient dabei für die Erfassung der gewählten Strecken, aber auch zur Ermittlung der Geschwindigkeit. Der Lage- und der Beschleunigungssensor liefert Aufschluss über die Beschaffenheit der Radwege. Umweltdaten wie Luftdruck, Temperatur, Feuchtigkeit und Helligkeit werden durch den Sensor ermittelt, um feststellen zu können, inwieweit Umweltfaktoren das Fahrverhalten beeinflussen. Die Fahrradsensorik kann mit einem Klettverschluss in verschiedenen Positionen, z.B. an der Sattelstange, am Fahrrad befestigt werden.
Ein weiteres Ziel der Datenauswertung war es, anhand der Beschleunigungsdaten, die in drei Richtungen gemessen werden, Erkenntnisse über den Zustand der Infrastruktur zu gewinnen. Vibrationen am Fahrrad entstehen immer dann, wenn das Fahrrad über ein Schlagloch oder eine Bordsteinkante fährt, was an einem starken Ausschlag der vertikalen Achse des Beschleunigungssensors erkennbar ist. Besonders viele Erschütterungen wurden in Kreuzungsbereichen, also z.B. wenn Radfahrende eine Bordsteinkante überqueren oder bei Straßenbelagsänderungen identifiziert. Bei der Datenauswertung konnte allerdings nicht herausgearbeitet werden, ob es sich bei einer Erschütterung um einen Straßenschaden oder einen gewöhnlichen, nicht vermeidbaren Vorgang im Straßenverkehr, wie die Überquerung des abgesenkten Bordsteins, handelt. Für eine umfassende Schadensanalyse, die z.B. die Identifizierung konkreter Investitionsbedarfe unterstützen könnte, sind weitere Untersuchungen und die Erhebung weiterer Daten im Rahmen von Nachfolgeprojekten notwendig.
Bremsvorgänge wurden in ECOSense ebenfalls untersucht. Diese können anhand der plötzlichen Abnahme der Fahrgeschwindigkeit identifiziert werden. Vergleichbar mit den Erschütterungen ergeben sich viele Bremsvorgänge an Kreuzungen, aber auch an Destinationen, wie Fahrradabstellanlagen oder Einkaufszentren. Bremsvorgänge sind im Vergleich zu den Erschütterungen insgesamt etwas stärker im Stadtgebiet verteilt. Es besteht außerdem ein starker Zusammenhang zwischen der Anzahl der Bremsvorgänge mit den zurückgelegten Entfernungen der Radfahrenden.
Fazit
Das Projekt hat erfolgreich gezeigt, dass mit der Fahrradsensorik z.B. im Vergleich zu Fahrrad-Apps neue Zielgruppen, insbesondere ältere Radfahrende, erreicht werden können. Seitens der Zivilgesellschaft besteht eine große Bereitschaft persönliche Daten bereitzustellen, um die Kommune bei der Infrastrukturplanung zu unterstützen. Insgesamt hatten sich innerhalb kürzester Zeit 523 Bürgerinnen und Bürger auf der offiziellen Webseite für die Teilnahme am Projekt registriert. Fast die Hälfte davon entfiel auf Personen mittleren und höheren Alters (>46 Jahre). Mehr als 200 Personen hatten die Sensorik für mehrere Wochen am Fahrrad genutzt. Um eine möglichst repräsentative Teilnehmerauswahl, die der Bevölkerungsverteilung in Oldenburg möglichst nahe kommt, zu realisieren, wurden als Kriterien neben der Altersgruppe auch Geschlecht und Postleitzahl berücksichtigt. Eine erste Datenerhebung wurde ab Herbst 2019 mit ca. 200 Personen durchgeführt. Ab Frühjahr 2020 erfolgte die Datenerhebung aufgrund der Corona Pandemie nur noch im kleineren Kreis.
Die Universität Oldenburg hat im Projekt die Daten der Fahrradsensorik aufbereitet und hinsichtlich Routenwahl, Fahrzeiten und Einfluss des Wetters ausgewertet. Außerdem erfolgte eine umfassende Analyse der Beschleunigungs- und Geschwindigkeitsdaten zur Identifizierung von Erschütterungs- und Bremsvorgängen. Dabei haben sich einige erwartbare, aber auch überraschende Ergebnisse gezeigt. Die Radfahrenden in Oldenburg bevorzugen in erster Linie Hauptverkehrsstraßen wie die Ofener Straße oder die Alexanderstraße. Allerdings sind die Radfahrenden auf Hauptverkehrsstrecken mit 5-10 km/h im Durchschnitt langsamer unterwegs im Vergleich zu Nebenrouten (>10 km/h), da sie auf Hauptstrecken häufiger an Kreuzungen oder Ampeln bremsen oder anhalten müssen. Das Wetter hat hingegen kaum einen Einfluss auf die Fahrtgeschwindigkeiten, wirkt sich aber auf die zurückgelegten Distanzen mit dem Fahrrad aus. Wenn vor Beginn einer Fahrt das Wetter schlecht ist, werden mit knapp drei Kilometern und 15 Minuten pro Fahrt kürzere Entfernungen als bei gutem Wetter vor Fahrtbeginn zurückgelegt (3,59 km in knapp 18 Minuten pro Fahrt).
Das Projekt ECOSense wurde vom Bundesministerium für Verkehr und Digitale Infrastruktur (BMVI) im Rahmen des Förderprogramms mFUND gefördert. Die aufbereiteten und anonymisierten Daten des Projektes wurden auf der mCLOUD, dem Open Data Portal des BMVI, zum freien Download veröffentlicht. Die interessierte Öffentlichkeit, aber auch Fachexperten, konnten sich im Rahmen einer öffentlich zugänglichen Webkonferenz über die finalen Ergebnisse informieren und offene Fragen an das Projekt stellen. Die Projektpartner haben erfolgreich die Machbarkeit des ECOSense-Konzeptes unter Beweis gestellt und planen darauf aufbauend im Anschluss eine Weiterentwicklung des Ansatzes in Richtung einer ganzheitlichen Qualitätsbewertung der Fahrradinfrastruktur.
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