Digitale Werkzeuge zur Konflikterkennung und -vermeidung
CapeReviso - Radfahrer und Fußgänger auf gemeinsamen realen und virtuellen Flächen

Ausgangssituation und Projektziel
Urbane öffentliche Verkehrsräume unterliegen ständigem Wandel. Die Planung von Städten und ihrer Infrastruktur ist komplex und von unterschiedlichen Interessen geprägt.
Im Projekt soll ein Werkzeug für die Stadt- und Verkehrsplanung (Planning- and Decision-Support-Tool) entwickelt werden, um mit Hilfe von Simulationen zu einer verbesserten Entscheidungsgrundlage zu gelangen.
Der Verkehrsraum in Städten muss zwischen allen Verkehrsteilnehmern aufgeteilt und zum Teil gemeinsam genutzt werden. Neben anderen Faktoren wie Kosten und Wegezeit hängt die Wahl des Verkehrsmittels davon ab, ob Mobilität als angenehm oder unangenehm empfunden wird. Großen Einfluss darauf haben Konflikte entlang des Weges und subjektiv empfundener Stress. Die Reduzierung dieser Konflikte ist daher ein wichtiger Baustein zur Förderung des Fuß- und Radverkehrs.
Eine Analyse der Unfälle und Gefahrensituationen mit Beteiligung von Radfahrer*innen und Fußgänger*innen ist aufgrund der geringen statistischen Erfassungen in einem Erhebungsgebiet schwierig. So bleiben gefährliche und konfliktreiche Knotenpunkte und Führungsformen oft unerkannt und bilden ein persistierendes Hemmnis für unentschlossene Radfahrende und zu Fuß Gehende.
Das in diesem Projekt vorgeschlagene Verfahren zielt auf eine Verbesserung von Knotenpunkten und Führungsformen an der Schnittstelle zwischen Rad- und Fußverkehr durch Erfassung der Verkehrssituation mittels Machine Learning und Humansensorik in der Realität und der Simulation zukünftig geplanter Varianten mit Menschen als Probanden in Virtueller Realität und im Living Lab ab.
Akteur*innen
Den Projektpartner*innen Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart (HLRS) und Allgemeiner Deutscher Fahrradclub e. V. (ADFC) geht es um eine methodisch neuartige Bestandsaufnahme sowie um innovative Instrumente für eine evidenzbasierte, konfliktvermeidende Stadtplanung. Sie werden dafür von 2020 bis 2023 vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) mit Mitteln des Nationalen Radverkehrsplans (NRVP) gefördert. Assoziierte Projektpartner sind die Städte Stuttgart, Karlsruhe und Herrenberg sowie ADFC Baden-Württemberg und Herrenberg.
Vorgehensweise
Im Projekt CapeReviso werden digitale Werkzeuge entwickelt, adaptiert, kombiniert und vor Ort angewendet. Dabei sind die Kommunen Stuttgart, Karlsruhe und Herrenberg beteiligt. Dort werden konflikthafte Verkehrsräume gemeinsam mit der Verwaltung identifiziert, an denen die Verkehrssituation anschließend mittels Netzwerkanalysen, Machine Learning und Humansensorik erfasst wird. Diese Verkehrs- und Stadträume werden als digitaler Zwilling nachgebildet. Digitale Zwillinge (Digital Twins) sind digitale Repräsentationen materieller oder immaterieller Objekte, wie z.B. Maschinen, aus der realen Welt, und wurden bisher hauptsächlich im Bereich Maschinenbau eingesetzt. Sie ermöglichen einen umfassenden Datenaustausch und können Modelle, Simulationen und Algorithmen enthalten, die ihr physisches Gegenstück und dessen Eigenschaften und Verhalten in der realen Welt beschreiben. Um eine realistische Wahrnehmung zu ermöglichen und kollaborative und partizipative Prozesse zu unterstützen, können digitale Zwillinge auch in virtueller oder erweiterter Realität visualisiert werden (”Virtual Twins”).
Der Ist-Zustand, Planungsvarianten und Szenarien sowie gestalterische Interventionen des Verkehrsraum werden für Bürgerinnen und Bürger in Form von Visualisierungen oder über Simulatoren erlebbar. Einzelne Alternativ-Szenarien werden im Living Lab umgesetzt, das heißt temporäre räumliche Interventionen wie die Veränderung der Verkehrsführung oder Nutzung der farblichen Markierungen werden realisiert und ihre Auswirkungen mit den gleichen Werkzeugen untersucht wie der vorherige Zustand. Dabei sind die jeweiligen Kommunen stark involviert, aber auch die lokalen ADFC-Gliederungen sind miteinbezogen, um geeignete Verkehrsräume und Interventionen zu lokalisieren.
Als mögliches Living Lab wird der Stuttgarter Marienplatz als zentraler städtischer Platz mit komplexer Ausgangslage betrachtet: Die Hauptradroute 1 des Stuttgarter Radverkehrsnetzes und die im Fußverkehrskonzept der Landeshauptstadt als 2,8 km lange Hauptverbindung für den Fußverkehr 7 treffen mit U-Bahn, Zahnradbahn und Busstationen sowie Taxistandplatz zusammen. Die Stadt Stuttgart ist daran interessiert, diesen Bereich für alle Verkehrsteilnehmer*innen neu zu organisieren, um Gefahren zu reduzieren. Dies macht die bestehende Ausgangssituation sowohl für die Projektpartner*innen als auch für die Stadt Stuttgart als assoziierte Partnerin als Living Lab interessant.
Aktueller Stand
Das Projekt ist im Sommer 2020 gestartet und befindet sich im Herbst 2020 in der Einführungsphase: Die ersten Probanden mit dem OpenBikeSensor sind “on the road” und sammeln Daten für die Karte der konfliktbehafteten Verkehrsräume.
Verbreitung der Ergebnisse und Weiterführung
Die im Projekt entwickelten Methodensets werden als quelloffene Software frei zugänglich gemacht. Dabei handelt es sich um ein Prototypensystem zur Verkehrserfassung, Softwarekomponenten für die Simulation in der virtuellen Realität und eine Beteiligungs-App für Bürger*innen. Die Ergebnisse sollen neben der Wissenschaft, Entscheidungsträger*innen und Ausführenden auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden mittels einer Projekt-Publikation mit Handlungsempfehlungen, eines Abschlussworkshops und Bürger*innen Workshops in den beteiligten Kommunen.
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