Konfliktträchtig oder friedliches Miteinander?
Rad- und Fußverkehr auf gemeinsamen Flächen (Teil 1)

Einführung
Rad- und Fußverkehr gelten als besonders schutzbedürftig im Straßenverkehr. Diese Verletzlichkeit lieferte Planenden und Behörden über Jahrzehnte hinweg eine ausreichende Begründung, wo es nur möglich war, nicht nur den Fuß-, sondern auch den Radverkehr vom motorisierten Fahrzeugverkehr zu trennen. Radverkehr im Seitenraum, ob gemeinsam oder getrennt vom Fußverkehr, galt als sicherer als auf der Fahrbahn. Zudem verbesserte dies die Leistungsfähigkeit der Straßen für den Autoverkehr.
An dieser Priorität bei der Straßengestaltung hat sich bezogen auf das Hauptstraßennetz bis heute nur wenig geändert, so dass in vielen Fällen auch aktuell sich Radfahrende und zu Fuß Gehende im Seitenraum den verbleibenden, meist geringen Platz teilen müssen. Reicht der Raum für getrennte Führungen nicht aus, werden die Flächen zur gemeinsamen Nutzung ausgewiesen.
Aber auch an Stellen, wo die Nutzung nicht vorgeschrieben ist, bevorzugen viele Radfahrende den scheinbar sichereren Seitenraum und suchen dort den Fahrkomfort, den sie auf der Fahrbahn vermissen. Sie bewegen sich dann auf mangelhaften Radwegen, freigegebenen Gehwegen oder nutzen Letztere regelwidrig.
Damit sind Konflikte vorprogrammiert. Aufenthaltsqualität und Fahrkomfort sind jeweils nicht nur bei gemeinsamer Führung, sondern auch bei einem dichten Nebeneinander auf getrennten Wegen eingeschränkt. Auch wenn schwere Unfälle eher selten sind, herrscht oft ein gereiztes Klima zwischen den Betroffenen und die gegenseitige Gefährdung ist real. Von zu Fuß Gehenden werden Radfahrende auf Gehwegen verbreitet als störend, gefährlich oder rücksichtslos empfunden.
In der Planung von Radverkehrsführungen wird diesem Konflikt wenig Beachtung geschenkt, wurde der Radverkehr doch lange nicht als Fahrverkehr anerkannt und entsprechend nachrangig behandelt.
So gelten in der Verkehrssicherheitsforschung Rad- und Fußverkehr bei geringen Verkehrsmengen als miteinander gut verträglich. Konflikte zwischen zu Fuß Gehenden und Radfahrenden tauchen in den Unfallstatistiken kaum auf, was die vordergründige Einschätzung des Seitenraums als sicheren Verkehrsraum für beide auch bei gemeinsamer Führung zu belegen scheint.
Radfahrende und zu Fuß Gehende als Verkehrsteilnehmende
Verhalten und Ansprüche an den Verkehrsraum
Radfahrverbände ebenso wie Interessenvertretungen von zu Fuß Gehenden verweisen schon lange darauf, dass diese Verkehrsgruppen keineswegs miteinander harmonieren und verlangen für den Regelfall eine räumliche Trennung der Verkehrs- bzw. Bewegungsräume.
Radfahrende, die tendenziell mit wachsender Geschwindigkeitsdifferenz zum Fußverkehr unterwegs sind, brauchen einen ausreichend dimensionierten und störungsarmen Raum, sofern die Förderung des Radverkehrs ernsthaft vorangetrieben werden soll. Die gebotene und vorgeschriebene Rücksichtnahme von Radfahrenden gegenüber den schwächsten Verkehrsteilnehmenden auf beengten Geh- und Radwegen, egal ob gemeinsam oder unmittelbar nebeneinander, schränkt deren Nutzung für den Radverkehr unter Umständen erheblich ein und behindert das Vorankommen.
Für den Fußverkehr stellt der Gehweg einen Schutzraum dar, der nicht die permanente Aufmerksamkeit gegenüber dem Fahrverkehr verlangen sollte und in dem besonders für Kinder, Alte und Menschen mit eingeschränkter Wahrnehmung oder Beweglichkeit ein entspannter Aufenthalt möglich sein sollte.

Konfliktpotenzial
Grundsätzlich sind Konflikte auf gemeinsam genutzten Flächen vorprogrammiert, sobald zu Fuß Gehende und Radfahrende in größerer Zahl aufeinandertreffen. Bei zu Fuß Gehenden ist mit unvermittelten Richtungswechseln oder Stehenbleiben, bei Radfahrenden mit „unangepasster“ Geschwindigkeit, da sie schließlich auch vorankommen wollen, zu rechnen.
Auch wenn zu Fuß Gehende und Radfahrende Kollisionen meist noch rechtzeitig vermeiden können, indem sie flexibel und schnell aufeinander reagieren, fühlen sich Menschen zu Fuß durch die sich schnell und geräuschlos nähernden Radfahrenden stark gefährdet. Im Fall einer Kollision oder auch schon bei sehr dichter Annäherung sind sie – insbesondere alte und weniger bewegliche Menschen mit verstärkter Schreckreaktion – meist die Leidtragenden und Geschädigten, während die verursachenden Radfahrenden oft den Konflikt als solchen überhaupt nicht sehen.
Menschen mit Behinderungen können unerwartete Hindernisse und Störungen auf Gehwegen nur eingeschränkt wahrnehmen oder auf diese nicht unmittelbar reagieren. Ihre Behinderung ist vielmals nicht sichtbar, weshalb andere Verkehrsteilnehmende sich dieser Gefahr nicht bewusst sind.
Im Gegensatz zum Fußverkehr sind Radfahrende – auch auf gemeinsamen Flächen – eher zielgerichtet unterwegs. Auf Verkehrsflächen in gemeinsamer Nutzung mit zu Fuß Gehenden meinen Radfahrende oft, einen Vorrang gegenüber dem Fußverkehr beanspruchen und auch durchsetzen zu können, was von Menschen zu Fuß zumeist auch akzeptiert wird.
Gegenseitige Rücksichtnahme, wie sie in der StVO von allen verlangt wird, weicht unter den Alltagsbedingungen des dichten Stadtverkehrs sehr schnell der rücksichtslosen Durchsetzung des eigenen Vorankommens auf Kosten der jeweils Schwächeren.
Unfallgeschehen
Unfälle zwischen Radfahrenden und zu Fuß Gehenden spielen in der Unfallstatistik eine untergeordnete Rolle. In einer Analyse von innerörtlichen Unfällen in Berlin mit Beteiligung von Radfahrenden und zu Fuß Gehenden machen Unfälle zwischen Radverkehr und Fußverkehr 6 % des Unfallgeschehens aus. Es ist jedoch grundsätzlich von einer hohen Dunkelziffer auszugehen, da Unfälle ohne Kraftfahrzeugbeteiligung vermutlich eher nur bei schweren Verletzungen auch polizeilich registriert werden.
Unfallkonstellation |
Unfälle |
Kfz – Radfahrer |
18.977 |
Kfz – Fußgänger |
9.381 |
Radfahrer – Fußgänger |
2.099 |
Radfahrer – Radfahrer |
1.383 |
Alleinunfall Radfahrer |
2.177 |
Alleinunfall Fußgänger |
1 |
Summe |
34.018 |
Unfallkonstellationen Berliner Fußgänger- und Radfahrerunfälle mit Personenschaden (2006 bis 2012) (Mehrfacherfassung von Unfällen in den Kategorien nicht auszuschließen)
Quelle: GDV 2013
Das Unfallgeschehen von Radfahrenden und zu Fuß Gehenden im Seitenraum bzw. auf separaten Wegen wird nicht gesondert erfasst. Als Verursacher bei Unfällen zwischen Rad- und Fußverkehr wurden beide Verkehrsgruppen zu gleichen Anteilen ermittelt. Auch wenn das Fahren auf falschen Straßenteilen bei Radfahrenden und mangelnde Aufmerksamkeit bei zu Fuß Gehenden als Hauptursache gelten, lassen diese Angaben keine Rückschlüsse zu, auf welchen Verkehrsflächen die Beteiligten unterwegs waren, und ermöglichen somit auch keine Aussagen zur Sicherheit gemeinsam genutzter Flächen.
Subjektive Sicherheit
Das Sicherheitsempfinden auf gemeinsamen Wegen, vor allem bei zu Fuß Gehenden, wird durch das reale Unfallgeschehen nicht annähernd abgebildet. Bedrohliche Bereiche werden von Personen, die einem besonders hohen Verletzungsrisiko ausgesetzt sind (z.B. Alte und Kinder), von vornherein gemieden.
Insbesondere für seh- und hörgeschädigte Menschen ist eine deutliche und distanzwahrende Trennung vom Radverkehr wichtig, die auf gemeinsamen Wegen nicht gegeben ist.
Radfahrende, die den Seitenraum gegenüber der Fahrbahn bevorzugen, schätzen die dort gegebene Sicherheit in der Regel nicht richtig ein. Sie fühlen sich dort weniger bedroht vom Kfz-Verkehr, unterschätzen aber die Risiken an Ausfahrten und Kreuzungen und die Gefahr durch plötzlich in den Weg tretende zu Fuß gehenden.
Abstellen von Fahrrädern
Abgestellte Fahrräder auf Gehwegen sind vielerorts ein besonderes Ärgernis, da sie oft den schmalen Gehweg noch weiter einschränken und nicht selten wichtige Zuwege versperren. Fehlende Abstellanlagen lassen Radfahrende an allem möglichen Stadtmobiliar einen geeigneten Ort finden, ihr Rad ortsfest anzuschließen, was besonders an Fußgängerüberwegen und Haltestellen des ÖV hinderlich ist. Abgestellte Räder auf Blindenleitsystemen können die Orientierung für die Betroffenen erschweren oder unmöglich machen.

Das Problem „Fahrradparken“ ist für Kommunen vor allem an wichtigen Zielen wie etwa Bahnhöfen, Haltepunkten des Nahverkehrs und zentralen Plätzen kaum in den Griff zu bekommen. Im Gegensatz zum Parken von Fahrzeugen im Straßenraum ist das Parken von Fahrrädern auf Gehwegen rechtlich kaum geregelt. Sind bei versperrten Rettungswegen abgestellte Räder noch relativ einfach zu beseitigen, muss auf anderen Gehwegbereichen schon eine akute Gefahr gegeben sein, um Räder zu entfernen.
Die Bereitstellung eines ausreichenden Angebots an sicheren Radbügeln oder Ähnlichem – auch auf der Fahrbahn in Umwandlung von Kfz-Parkplätzen – kann ein erster Schritt sein, derartige Behinderungen zu verringern. Die Stadt Freiburg hat nach dem Vorbild niederländischer Städte in Fußgängerzonen Bereiche gekennzeichnet, in denen das Abstellen untersagt ist, und hierfür eine entsprechende Ortssatzung erlassen.
Selbst umfangreiche Angebote an Abstellanlagen bieten keine Garantie dafür, dass „wildes“ Abstellen in unmittelbarer Nachbarschaft zurückgeht, wenn nicht zugleich ein wirksames Instrumentarium zur Verfügung steht, dieses zu unterbinden. Wesentlich für die Akzeptanz von Abstellanlagen sind ein unkomplizierter Zugang und die Nähe zum eigentlichen Zielort. Beispiele aus „Fahrradstädten“ in den Niederlanden und Dänemark, aber auch in Deutschland, zeigen, dass neu geschaffene Anlagen einer rasch wachsenden Nachfrage nach kurzer Zeit nicht mehr genügen.
Die Konflikte mit abgestellten Rädern spitzen sich in den Städten zu, in denen konkurrierende Leihradanbieter mit ihren Rädern zusätzlich den Seitenraum belegen und künftig auch Elektroroller diverser Anbieter abgestellt sind.

Verhaltensregeln der StVO
Die Verhaltensvorschriften für die Nutzung der einzelnen Straßenteile mit Fahrzeugen sind in § 2 StVO enthalten, so auch die verpflichtende Nutzung von gemeinsamen Geh- und Radwegen bei angeordneten Zeichen 240 in Abs. 4 sowie die Regelung für radfahrende Kinder und deren erwachsene Begleitung auf Geh- und Radwegen in Abs. 5.
Zum Verhalten auf gekennzeichneten gemeinsamen Geh- und Radwegen wird im Verkehrszeichenkatalog (Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 Vorschriftzeichen StVO) zum Zeichen 240 ausgeführt, das jeglicher Fahrverkehr die Geschwindigkeit an den Fußverkehr anzupassen hat. Radfahrende ebenso wie alle weiteren als Ausnahme zugelassenen Verkehrsarten müssen, sofern sie zu Fuß Gehende gefährden oder behindern könnten, ihre Geschwindigkeit reduzieren und gegebenenfalls warten. Diese Regelung gilt gleichermaßen auch auf gekennzeichneten gemeinsamen Geh und Radwegen ohne Benutzungspflicht.
Bei der Freigabe von Gehwegen für den Radverkehr – Anordnung als „Gehweg“ (Zeichen 239 StVO) mit Zusatzzeichen „Radverkehr frei“ (Zz 1022-10 VZ-Kat StVO) wird dem Radverkehr lediglich ein Benutzungsrecht auf dem Gehweg eingeräumt. Radfahrende haben die Wahl zwischen dem Fahren im Mischverkehr auf der Fahrbahn und dem Fahren im Seitenraum. Mit der generellen Beschränkung für den Radverkehr auf Schrittgeschwindigkeit wird der geltende Vorrang von zu Fuß Gehenden zusätzlich unterstrichen. Diese Beschränkung gilt ebenso für den Radverkehr in freigegebenen Fußgängerzonen (Z 242).

Fazit
Aus den oben beschriebenen Beispielen für Verhalten, Konflikte und Rechtsprechung wird deutlich, dass eine gemeinsame Führung des Radverkehrs mit dem Fußverkehr grundsätzlich eine eingeschränkte Verkehrsqualität für den Radverkehr besitzt, sobald der Fußverkehr in mehr als nur geringer Zahl anzutreffen ist. Auch für den Fußverkehr als schwächstes Glied im Straßenverkehr bedeutet eine gemeinsame Führung Angst, Komfortverlust und Unfallgefahr. Alles in allem bringt sie beiden Seiten nur Nachteile. Wenn Fuß- und Radverkehr dennoch gemeinsam geführt werden müssen, gilt es, einige Planungsgrundsätze zu beachten. Wie diese aussehen, wird im kommenden Schwerpunktthema thematisiert.
Literatur
Kurzlink zu dieser Seite: nrvp.de/21449