Planen und Gestalten
Rad- und Fußverkehr auf gemeinsamen Flächen (Teil 2)

Einführung
Im ersten Teil des Schwerpunktthemas wurde die Verträglichkeit von Fuß-und Radverkehr auf gemeinsamen Flächen betrachtet. Welche Anforderungen haben die Verkehrsteilnehmenden jeweils, welche Konflikte treten offen auf und welche Aspekte beeinflussen das Sicherheitsempfinden, das Verkehrsklima und das Verhalten der Verkehrsteilnehmenden?
Im zweiten Teil wird der Frage nachgegangen, was beachtet werden muss, wenn trotz Qualitätseinbußen für beide Seiten eine gemeinsame Führung angeboten werden soll. Dabei wird insbesondere auf die Fragen eingegangen, welche Regeln für die Planung grundsätzlich gelten, auf welche Besonderheiten zu achten ist und wie gemeinsame Führungsformen ausgestaltet werden sollten.
Planungsgrundlagen
Allgemein
Grundsätzlich sind gemeinsame Geh- und Radwege innerorts nur im Ausnahmefall vorzusehen und kommen nur dann in Betracht, „[…] wenn dies unter Berücksichtigung der Belange der Fußgänger vertretbar ist“ [FGSV 2007].
In der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) wird für gekennzeichnete Radverkehrsführungen verlangt, dass die Wege den gewünschten Verkehrsbedürfnissen entsprechend breit, befestigt und hindernisfrei sein müssen. Für die Anordnung eines gemeinsamen Weges mit Benutzungspflicht sind bestimmte Breitenanforderungen zu erfüllen. Die lichte Breite gemeinsamer Wege soll in der Regel durchgehend innerorts 2,50 m und außerorts 2,00 m betragen. Für die Gestaltung von Radverkehrsführungen wird in der VwV-StVO ausdrücklich auf die Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA) verwiesen (VwV-StVO zu § 2 Abs. 4 (2)).
Die Planungsempfehlungen der ERA konkretisieren die Vorschriften der VwV-StVO für die Anlage von gemeinsamen Geh- und Radwegen bzw. zur Freigabe des Radverkehrs auf Gehwegen und in Fußgängerzonen. Es wird eine Reihe von Ausschlusskriterien und Einsatzgrenzen benannt, die sich auch in den Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt 06) wiederfinden.
Straßen außerorts
An Straßen außerorts stellen gemeinsame Führungen die Regellösung dar und unterliegen dort seit 2017 auch vereinfachten Voraussetzungen zur Anordnung einer Benutzungspflicht für den Radverkehr.
Sind regelmäßig größere Mengen von zu Fuß Gehenden zu erwarten, ist dann auch dort eine getrennte Führung nahezulegen. Ebenso kann es auch außerorts sinnvoll sein, zum Schutz von sensiblen Personengruppen den Radverkehr getrennt vom Fußverkehr zu führen. Auf gering belasteten Straßen ist der Radverkehr auf der Fahrbahn in der Regel problemlos.
Kombinierte Rad- und Gehwege sind außerorts zumeist baulich einseitig als Zweirichtungswege angelegt, die im Bereich der Ortseingänge verkehrssicher aufgelöst werden sollten. Die Regelbreite beträgt 2,50 m.
Für die Führungsform eines gemeinsamen Weges ohne Benutzungspflicht finden sich in der aktuellen ERA noch keine konkreten Angaben. Die Planungsanforderungen lassen sich jedoch ohne Weiteres ableiten, da sich die qualitativen Anforderungen aus Nutzersicht nicht unterscheiden.
Freigegebene Gehwege
Für den Radverkehr freigegebene Gehwege können eine Alternative zur Fahrbahnführung bieten, wenn diese individuell als zu unsicher empfunden wird. Bei der Freigabe von Gehwegen ist nach VwV-StVO vorab zu prüfen, ob die Belange des Fußverkehrs dies zulassen und der Gehweg den Verkehrsbedürfnissen des Radverkehrs genügt. Auch hier sind die oben genannten Ausschlusskriterien für eine gemeinsame Führung zu prüfen. Wäre z.B. erheblicher Radverkehr bei einer Freigabe zu erwarten, dürften die Belange von zu Fuß Gehenden auf diesem Weg nicht mehr ausreichend gesichert und die Voraussetzung damit nicht erfüllt sein.
Insoweit sind die Anordnungen für gemeinsame Führungen gleich welcher Art einer laufenden Prüfung zu unterziehen. Gehwege müssen ihre primäre Schutzfunktion für zu Fuß Gehende behalten.

Fußgängerzonen
Für Fußgängerzonen gelten analog die oben erwähnten, an den Mengen des Fußverkehrs orientierten Grenzen für die Zulassung des Radverkehrs. Hier wird in der Praxis die Freigabe für Rad- ebenso wie für den Lieferverkehr oft auf die Tagesrandzeiten beschränkt, in denen der Fußverkehr eher gering ist.
Die Regelwerke sehen für die Zulassung des Radverkehrs in Fußgängerzonen neben der Kombination des Zusatzzeichens „Radverkehr frei“ mit Zeichen 242.1 (Beginn einer Fußgängerzone) oder 239 (Gehweg) noch die Anordnung des „Verbots für Fahrzeuge aller Art“ (Zeichen 250) mit Freigabe für den Radverkehr oder des „Verbots für Kraftfahrzeuge“ (Zeichen 260) als Möglichkeiten vor.

Es wird empfohlen, dem Radverkehr gestalterisch – z.B. durch Möblierung oder Pflasterung – eine Führung möglichst in der Straßenmitte anzubieten. Diese sollte jedoch keinen Vorrang des Radverkehrs suggerieren, wenn dieser nicht auch gewollt ist. Das Straßenverkehrsrecht bietet derzeit keine Möglichkeit, den als Ausnahme zugelassenen Radverkehr auf Flächen des Fußverkehrs räumlich zu begrenzen. Radwege oder Markierungen sind in Fußgängerzonen ausgeschlossen.
Bei der mit dem Städtebaupreis ausgezeichneten Umgestaltung der Goethestraße in Kassel wurde mit gestalterischen Mitteln der Versuch unternommen, Teile eines Gehwegs dem Radverkehr als attraktiven Fahrweg anzubieten und zugleich den hausnahen Bereich davon freizuhalten. Der Radverkehr hat auch hier weiterhin Schrittgeschwindigkeit einzuhalten.

Knotengestaltung und Signalisierung
Gemeinsame Geh- und Radwege im Zuge bevorrechtigter Hauptverkehrsstraßen müssen bei der Querung untergeordneter Knotenpunktarme Furtmarkierungen erhalten. Für Gehwege mit zugelassenem Radverkehr gilt dies in gleicher Weise. Auf beiden Führungen ist der Radverkehr in die Bevorrechtigung grundsätzlich einbezogen.
Die Signalisierung des Radverkehrs im Zuge von gemeinsamen Geh- und Radwegen und von freigegebenen Gehwegen mit gemeinsamer Furt erfolgt zusammen mit dem Fußverkehr. Die mit der Änderung der StVO 1980 eingeführte Verpflichtung für Radfahrende im Seitenraum, bei gemeinsamen oder aneinander grenzenden Furtmarkierungen über die zu querende Fahrbahn bei fehlenden Radverkehrssignalen die Fußgängersignale zu beachten, wurde erst Ende 2016 endgültig aufgehoben. Die ursprüngliche Regelung wirkt jedoch bis heute nach und führt zu gefährlichen Fehlinterpretationen durch den Kfz-Verkehr, was die vermeintliche Rotlichtmissachtung durch den Radverkehr betrifft. Seit 2017 müssen auch bei gemeinsamer Signalisierung die Signale in den Streuscheiben ein Radverkehrssymbol ggf. auch als kombinierte Kombistreuscheibe zeigen.
Besonders an signalisierten Knoten sind bei gemeinsamen Wegen Konflikte vor allem in den Aufstellbereichen und bei der Fahrbahnquerung im Pulk zu erwarten. Fuß- und Radverkehr sollten deshalb vor dem Knotenpunkt möglichst getrennt, d.h. der Radverkehr möglichst auf die Fahrbahn geführt werden und getrennte Furten erhalten. Dies erlaubt auch eine getrennte, auf die jeweiligen Räumzeiten abgestellte Signalisierung mit eigenen, den Richtlinien für Lichtsignalanlagen (RiLSA) konformen Signalen für den Radverkehr vor der Konfliktfläche. Die konsequente Signalisierung des Radverkehrs als Fahrverkehr verbessert die Akzeptanz gegenüber einer gemeinsamen Signalisierung deutlich.
Selbständig geführte Rad- und Gehwege
Grünanlagen und Wanderwege sollten weitestgehend dem Fußverkehr vorbehalten bleiben. Andererseits haben diese Wege für den Radverkehr abseits vom motorisierten Verkehr eine hohe Attraktivität. Sie ermöglichen Abkürzungen oder Umfahrungen von belasteten Hauptverkehrsstraßen und erlauben entspanntes Fahren. So bietet es sich zur Förderung des Radverkehrs an, für diesen auch solche Verbindungen freizugeben.
Grundsätzlich gilt auch für Wege abseits von Straßen, dass Rad- und Fußverkehr nur bedingt miteinander verträglich sind. Auf gemeinsam genutzten Wegen entstehen für zu Fuß Gehende durch schnellen und zahlreichen Radverkehr unzumutbare Verhältnisse mit sehr geringer Aufenthaltsqualität. Attraktive Verbindungen für den Radverkehr, die auch vom Alltagsverkehr genutzt werden, sollten daher auch abseits von Straßen auf eigenen Wegen getrennt vom Fußverkehr verlaufen. Dies trifft in besonderem Maße auch für frequentierte touristische Radrouten zu, die Erholungsräume erheblich belasten können.
Bei Radschnellwegen fordert die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) entsprechend ebenfalls, Rad- und Fußverkehr grundsätzlich getrennt zu führen. Nur bei sehr wenig Fußverkehr können auf kurzen Strecken Ausnahmen erfolgen, in Gebieten mit Erholungsfunktion ist eine gemeinsame Führung jedoch auszuschließen. Ist eine getrennte Führung nicht zu verwirklichen, sollte konsequenterweise auch auf eine Etikettierung als Radschnellweg verzichtet werden [FGSV 2014].
Die TU Dresden beforscht derzeit im Rahmen eines NRVP-Projektes Sicherheit und Komfort für gemeinsam geführten Rad- und Fußverkehr auf selbständigen Wegen. Bis Ende 2019 ist die Veröffentlichung eines Leitfadens geplant, der die Einsatzbereiche dieser Führung beschreiben wird. [TU Dresden 2016]

Beeinflussung von Verhalten auf gemeinsamen Wegen
Fußgängervereine setzen sich vorrangig für den Schutz ihrer Flächen vor der Mitnutzung durch andere Verkehrsarten ein und werden darin von den Radverkehrsverbänden unterstützt. Der österreichische Verein für FußgängerInnen Walk Space fordert in seiner Kampagne „Gehsteig ≠ Fahrsteig“ den Schutz des Gehsteigs als „Ort der entschleunigten Begegnung“ und tritt „für eine faire Aufteilung im urbanen Verkehrsraum“ ein (siehe auch www.walk-space.at/kampagne).
Bundes- oder landesweite Kampagnen bemühen sich um mehr gegenseitige Rücksicht im Verkehr. Beispiele dafür sind z.B. „Ich und die Anderen – Die Anderen und ich“ der Arbeitsgemeinschaft Fahrrad- und Fußgängerfreundliche Kommunen (AGFK) Baden-Württemberg, „Respekt bewegt: Gemeinsam achtsam durch die Altstadt“ der Stadt Regensburg oder die Miteinanderzone der Stadt Aschaffenburg (siehe auch die Verlinkungen zu den jeweiligen Praxisbeispielen).
Ebenso zeugen zahlreiche fantasievolle Schilder an gemeinsam genutzten Wegen von Versuchen der Kommunen, für mehr Rücksichtnahme und Respekt gegenüber zu Fuß Gehenden zu werben. Selten fühlen sich jedoch davon tatsächlich diejenigen angesprochen, die mit ihrem Verhalten für ein gespanntes Klima sorgen. Mit guter Gestaltung können zumindest klare Botschaften zur gewünschten Nutzung vermittelt und Verhalten beeinflusst werden. Verbote und Apelle an Radfahrende, auch in gestalterischer Art, bleiben jedoch weitgehend wirkungslos, wenn sichere alternative Angebote für den Radverkehr fehlen, nicht zuletzt weil vom Autoverkehr belegte Flächen oft als unantastbar gelten.
Fazit
Wie schon in Teil 1 des Schwerpunktthemas zu Rad- und Fußverkehr auf gemeinsamen Flächen (https://nationaler-radverkehrsplan.de/de/forschung/schwerpunktthemen/rad-und-fussverkehr-auf-gemeinsamen-flaechen) beschrieben, sollte eine gemeinsame Führung der doch recht unterschiedlichen Verkehrsarten vermieden werden. Bevor über eine gemeinsame Führung nachgedacht wird, sollte vielmehr geprüft werden, ob nicht bisherige Flächen des Kfz-Verkehrs (entweder Fahr- oder Parkspuren) umgewandelt werden können, um so eine getrennte Führung von Fuß- und Radverkehr zu ermöglichen und beiden Verkehrsarten dennoch genügend Raum zu bieten. Sollte die gemeinsame Führung von Fuß- und Radverkehr nach Abwägung aller Faktoren die einzige Möglichkeit sein, sind die oben genannte Planungsgrundlagen unbedingt zu beachten, um insbesondere die zu Fuß Gehenden als schwächste Verkehrsteilnehmenden besonders zu schützen.
Literatur
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