Kreuzungen attraktiv und sicher gestalten
Kreuzungsdesign

Einführung
Ein überproportionaler Anteil amtlich registrierter Unfälle mit Radverkehrsbeteiligung ereignet sich innerhalb geschlossener Ortschaften: laut Statistik davon mehr als die Hälfte an Knotenpunkten in Verbindung mit dem fließenden Kfz-Verkehr – beim Einbiegen, Kreuzen oder Abbiegen [Destatis 2020].
Die Unfallursachen sind vielfältig. Häufig hängen Kreuzungsunfälle mit infrastrukturellen und fahrzeugtechnischen Defiziten zusammen. Sichthindernisse, unübersichtliche Führungen oder fehlende oder unwirksame geschwindigkeitsdämpfende Maßnahmen bedingen häufig Gefahrensituationen [Schreiber 2016]. Teilweise kommen ein regelwidriges Verhalten der Verkehrsteilnehmenden oder fehlende Fahrzeugtechnik (wie bspw. Fahrerassistenzsysteme) als Unsicherheitsfaktoren hinzu. Radfahrende und zu Fuß Gehende sind an diesen Stellen als ungeschützte Gruppen am meisten gefährdet. Insbesondere mit Lkw-Beteiligung (Rechtsabbiege-Unfälle) enden die Konflikte oft folgenschwer.
Getrieben von den aktuellen Entwicklungen im Radverkehr – allgemeine Zunahme [Nobis/Kuhnimhof 2018], höhere Fahrleistungen und gleichzeitig höhere Geschwindigkeiten sowie immer mehr ältere Verkehrsteilnehmende (insbesondere mit Pedelecs) – steigen die Unfallgefahr und damit die Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit an Kreuzungen [GDV 2015].
Nicht zuletzt ist eine objektiv und subjektiv als sicher wahrgenommene Infrastruktur eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass mehr Menschen auf das Fahrrad (um)steigen. Trotz aller Relevanz waren Entwurfsstrategien für sichere Kreuzungen bei Planung und Bau von Radverkehrsverbindungen bislang das „Stiefkind“ der Planungswelt und wurden daher oft nur inkonsequent umgesetzt.
Hinweise zur Kreuzungsgestaltung in den Regelwerken und der Fachliteratur
Konflikte an Knotenpunkten lassen sich durch eine entsprechende Gestaltung reduzieren. Die technischen Regelwerke, wie bspw. die ERA 10 (Empfehlungen für Radverkehrsanlagen), enthalten dazu grundlegende Hinweise und Richtlinien (Kap. 4 Radverkehrsführung an Knotenpunkten) [FGSV 2010].
Beim Entwurf sowie der Gestaltung von Knotenpunkten sollten sich Planer*innen grundsätzlich nach den Vorgaben des aktuellen Entwurfsregelwerks richten. Neben der ERA 2010 sind insbesondere die Regelungen der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. für innerstädtische Straßen (RASt 2006) [FGSV 2006], die Richtlinien für Lichtsignalanlagen (RiLSA) [FGSV 2015], die Empfehlungen für Fußgängerverkehrsanlagen (EFA) [FGSV 2002] sowie die Hinweise für barrierefreie Verkehrsanlagen (HBVA) [FGSV 2011] zu beachten.
In den genannten aktuellen Regelwerken sind Vorgaben und Maßnahmenvorschläge für ein konfliktarmes Kreuzungsdesign benannt:
- fahrbahnnahe Radverkehrsführung oder Führung auf der Fahrbahn,
- Freihalten von Sichtfeldern,
- getrennte Lichtsignalphasen für Abbiegende,
- Vermeidung zügiger Ein-/Abbiegeführung,
- keine Netzlücken,
- Furten mit besonderem Konfliktpotenzial konsequent markieren,
- eine eindeutige und verständliche Radverkehrsführung herstellen,
- vorgezogene Haltlinien für den Radverkehr, die mindestens 3 m vor denen der Kfz liegen.
Die Regelwerke zeigen verschiedene Elemente und Regelungen zur Gestaltung der Führung in Knotenpunkten auf, lassen dabei aber offen, welche davon in Hinblick auf welche Zielgruppe (insbesondere hinsichtlich der Kompetenzen verschiedener Gruppen) umgesetzt werden sollten. Die Entscheidung obliegt den planenden Personen, die anhand der örtlichen Gegebenheiten und vorgegeben Prioritäten entscheiden. Dabei sollte prinzipiell die Gesamtlage unter Berücksichtigung der Belange aller Verkehrsbeteiligten betrachtet werden [DVR 2016].
In der Praxis werden die Belange des Fuß- und Radverkehrs an Knoten häufig der Leistungsfähigkeit des Kfz-Verkehrs untergeordnet.
Ausführliche Untersuchungen und Analysen zur Sicherheit an Knotenpunkten bieten die Veröffentlichungen:
- Sichere Knotenpunkte für schwächere Verkehrsteilnehmer [GDV 2014],
- Unfallrisiko und Regelakzeptanz von Fahrradfahrern [Alrutz et al. 2009] und
- Abbiegeunfälle Pkw/Lkw und Fahrrad [GDV 2013].
Hilfreich bei der Planung sind neben den bekannten Regelwerken auch die im Rahmen des RadNETZ Baden-Württemberg (Informationsportal zur Radverkehrsförderung) erstellten Musterlösungen für Radverkehrsanlagen. Ferner greift der „Leitfaden Markierungslösungen“ der AGFK Baden-Württemberg u.a. spezielle Gestaltungshinweise zu Kreuzungen/Knotenpunkten überblicksartig auf.
Verschiedene Kreuzungsdesigns – ein Blick in die Praxis
An Kreuzungen treffen die unterschiedlichsten Verkehrsteilnehmenden aus den verschiedensten Richtungen zusammen. Dementsprechend komplex gestaltet sich mitunter auch das Verkehrsgeschehen an diesen Stellen. Ein sicheres Kreuzungsdesign berücksichtigt und inkludiert alle Verkehrsströme, insbesondere die der ungeschützten Verkehrsteilnehmenden, und verzeiht Fehler.
Planer*innen können Zugewinne bei der Verkehrssicherheit an Kreuzungen erreichen, indem sie die Zahl bekannter Konfliktpunkte minimieren. Grundsätzlich gilt, dass ein Konfliktbereich an Sicherheit gewinnt, je geringer die Kfz-Geschwindigkeiten sind, je besser die Sichtbeziehungen zwischen den Verkehrsteilnehmenden sind und je eher Kfz-Fahrende z.B. beim Abbiegen Radfahrende wahrnehmen.
Um unnötige Gefahren zu vermeiden, sollte die Radverkehrsführung bereits vor Einfahrt in den Knotenpunkt für alle Verkehrsteilnehmenden klar erkennbar sein. In Deutschland wird dies über die farbige Markierung von Radfahrstreifen und Abbiegespuren für den Radverkehr gewährleistet. Weiter abgesetzte Radwege werden vor der Kreuzung an die Fahrbahn herangeführt. Laut VwV-StVO (Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung) muss die Führung über den Knoten hinweg als Furt (in Form einer unterbrochenen Querlinie) markiert werden. Dies gilt auch für nicht benutzungspflichtige Radwege und für Gehwege, die für den Radverkehr freigegeben sind [Die Bundesregierung 2001].
Im Zuge der aktuell entfachten öffentlichen Diskussion über Radinfrastrukturplanung und das „richtige“ Kreuzungsdesign werden die hierzulande üblichen Planungsstandards zur Führung des Radverkehrs immer häufiger den in anderen Ländern verbreiteten Lösungen gegenübergestellt.
Im Folgenden dargestellte Kreuzungsdesigns sind nicht unbedingt der Regelfall der jeweiligen Länder oder Städte, sondern lediglich eine der dort angewandten Möglichkeiten des Gestaltungsrepertoires.
Kreuzungsgestaltung aus Kopenhagen
Bei der dänischen Variante wird der fließende Radverkehr nahezu überall auf Hochbordradwegen direkt neben der Fahrbahn geführt und somit baulich von der Kfz-Spur getrennt. An Knotenpunkten unterscheidet es sich baulich kaum von der deutschen Herangehensweise. Charakteristisch ist jedoch, dass an großen Kreuzungen und Gefahrenstellen der Radweg stets blau hervorgehoben wird, um eine Signalwirkung zu erzeugen.
Die Signalisierung der Abbiegeströme erfolgt in Kopenhagen an geeigneten Stellen, jedoch nicht gänzlich, getrennt. Das heißt, geradeaus Radfahrende und der rechtsabbiegende motorisierte Verkehr (MIV) haben im Unterschied zum Regelfall in Deutschland nie gleichzeitig ein „Grünsignal“. Durch die getrennte Signalisierung fahren immer nur rechts- und linksabbiegende Autos gleichzeitig, was zu einer deutlichen Reduzierung von Konflikten mit Abbiegenden führt. In dieser dänischen Gestaltungsart bewirken zudem Elemente wie vorgezogene Haltlinien und ein geschaltetes „Vorlaufgrün“ (Radfahr-Signale zeigt eher Grün als die Kfz-Signale) von ca. zwei Sekunden, dass zumindest wartende Radfahrende vor dem Kfz-Verkehr in den Kreuzungsbereich einfahren. Diese Lösungen werden bei getrennten Wegen und eigener Signalisierung auch in Deutschland empfohlen.
Kreuzungsgestaltung aus den Niederlanden
In den Niederlanden findet man seit mehreren Jahrzehnten überall dort eine separierte Führung des Radverkehrs, wo der Kfz-Verkehr mit mehr als 30 km/h unterwegs ist. Auch hier wird der Radverkehr als Hochbordradweg geführt und baulich vom Pkw-Verkehr getrennt. In der Kreuzung wird er dann nach rechts geschwenkt und durch eine kleine schmale „Schutzinsel“ (siehe Kap. „Geschützte Kreuzungen“) vom MIV getrennt. Die geschützte Aufstellfläche für Radfahrende sorgt für ein erhöhtes subjektives Sicherheitsempfinden bei Radfahrenden. Das niederländische Kreuzungsdesign ist durch seine durchgängigen farblichen Markierungen intuitiv verständlich.
Auch in den Niederlanden sollen getrennte Signalisierungen der Abbiegeströme von Auto- und Radfahrenden für weniger Konflikte sorgen. In einigen Fällen können rechtsabbiegende Radfahrende die Kreuzung ohne die Berücksichtigung von Lichtsignalanlagen passieren. Die Signalisierung für (indirekt) linksabbiegende Radfahrende ermöglicht das Abbiegen meist ohne zeitlichen Zwischenstopp (entspricht der Regelung in Deutschland)
Außerdem setzen die Niederländer als Standardmaßnahme das sogenannte „Rundumgrün“ (gleichzeitige Freigabe für Radverkehr aus allen Zufahrten während der Sperrzeit für alle Kfz-Verkehrsströme) mit Möglichkeit zum diagonalen Queren ein.
„Rundumgrün“ ist für kreuzende Radverkehrsströme unverträglich und darf daher in Deutschland nicht angewendet werden [RiLSA 2010]. Aus diesem Grund gibt es diese Lösung hierzulande nur im Bereich des Fußverkehrs.
Variante aus Eindhoven
Architektonische Kreuzungslösungen, wie der Hovenring in Eindhoven, setzen ebenso auf die konsequente Trennung von Kfz-Verkehr und ungeschützten Verkehrsteilnehmenden. Hier wird der motorisierte Verkehr über eine normale signalisierte Kreuzung geführt. Für den Rad- und Fußverkehr ist etwa 7 m über der Kreuzung ein „schwebender Kreisverkehr“ vorgesehen.
Der Bau von derartigen Überführungen (ähnlich wie Unterführungen, wenn diese freundlich und offen gestaltet sind) gehört zu den attraktiven und innovativen, aber flächenintensiven und kostspieligen Varianten und sind auch in den Niederlanden eher eine Ausnahme.
Geschützte Kreuzungen
Im öffentlichen Diskurs über die verschiedenen Möglichkeiten eines attraktiven und sicheren Kreuzungsdesigns wurden in der Vergangenheit häufiger Stimmen nach dem Bau sogenannter „geschützter Kreuzungen“ (engl. Protected Intersections) nach niederländischem Vorbild laut (u.a. ADFC 2018; Radentscheid Hamburg 2019).
Das Prinzip basiert auf der baulichen Trennung der Verkehrsströme, die zu einer höheren Reaktionszeit und zu besseren Sichtbeziehungen beitragen soll. Die Signalisierung des Radverkehrs erfolgt entweder getrennt vom Kfz-Verkehr, oder Radfahrende erhalten ein „Vorlaufgrün“. In vielen Fällen ermöglicht das Design Radfahrenden, ohne Lichtsignal frei nach rechts abzubiegen.
Das Design zeichnet sich durch folgende Elemente aus:
- Schutzinseln (linsenförmige Einbauten als baulicher Schutz für Radfahrende bis kurz vor der Fahrbahnquerung),
- Aufstellflächen für Radfahrende (Wartenischen), in der sich Radfahrende bei Rot aufstellen können (entstehen automatisch durch Schutzinseln),
- Abgesetzte Furten (von bis zu 5 m) bzw. Verschwenkungen vor den Fahrbahnüberführungen und vorgezogene Haltlinien,
- fahrradfreundliche Signalisierung,
- Befahrung verbreitet auch im Zweirichtungsverkehr möglich [NACTO 2019; Graf 2020].

In den Niederlanden als auch in den USA, Großbritannien und Kanada gehören geschützte Kreuzungen zum Planungsrepertoire – wenngleich sie nicht Regelfall sind. Die aktuelle Ausgabe der ERA 2010 führt das vergleichsweise junge Knotenpunktdesign nicht auf, demonstriert jedoch ähnliche Führungsformen in Knotenpunkten (Kap. 4.4.3, Abb. 47) [FGSV 2010].
Obwohl diese Art der Kreuzungsgestaltung hierzulande aktuell (noch) der Ausnahme entspricht, gibt es auch deutsche Städte (u.a. Darmstadt) die besonders unfallauffällige und konfliktträchtige Kreuzungen bzw. Einmündungen bereits nach dem Konzept der Protected Intersections umbauen oder dieses planen.
Die Vorteile geschützter Kreuzungen sind vielfältig. Neben der Tatsache, dass durch die eindeutige optische Trennung mehr geschützte Fläche für den Rad- und Fußverkehr bereitgestellt wird, können Radfahrende ohne Lichtsignal schnell und bequem rechts abbiegen. Für Geradeausfahrende werden die Konflikte mit dem Kfz-Verkehr minimiert. Zudem reduziert der enge Kurvenradius automatisch die Kfz-Geschwindigkeiten [Graf 2020]. Insbesondere mehr als 25.000 Kfz/Tag und ein hohes Lkw-Verkehrsaufkommen sprechen für dieses Kreuzungsdesign [Franke/Lampert 2020]. Zu beachten ist, dass der Radius bei Hauptverkehrsknoten mit hohen Verkehrsstärken dazu geeignet sein muss, dass Lkw problemlos abbiegen können, ohne den Kreuzungsbereich zu blockieren.
In der aktuellen Diskussion wird aber auch angemerkt, dass die höhere Schutzfunktion von „geschützten Kreuzungen“ nicht ausreichend belegt ist und insbesondere für den Fußverkehr damit erhebliche Komfortverluste verbunden sind. Kritisch angemerkt wird zudem, dass die bauliche Trennung viel Fläche benötigt, die in den Städten meist rar ist. Demnach könnte dieses Kreuzungsdesign lediglich als Ergänzung des planerischen „Gesamtrepertoires“ anstatt als allumfassende Lösung fungieren [Franke/Lampert 2020; Ortlepp 2019; Schwab 2019].
Erste Ergebnisse zu geeigneten Anwendungsbereichen geschützter Kreuzungen und deren Wirkungen auf die subjektive und objektive Sicherheit bieten u.a. die NACTO und die Erfahrungen aus den Niederlanden. Künftig sind dringend Vergleichsstudien nötig, die bereits vorhandene Erkenntnisse stützen [Ortlepp 2019].
Fazit
Das optimal und universell anwendbare Kreuzungsdesign zur Vorbeugung von Konflikten und Unfällen mit Radfahrenden gibt es (derzeit) nicht – auch weil für vergleichsweise neue Infrastrukturelemente, wie „geschützte“ bzw. baulich separierte Kreuzungen, „Rundumgrün“ oder der „Grünpfeil“ für Radfahrende, bisher keine ausreichende Daten- als auch Rechtslage zu einer validen Bewertung der objektiven Sicherheit vorliegen. Im Wesentlichen sollte das Kreuzungsdesign für alle Verkehrsteilnehmenden immer leicht erkenn- und begreifbar sein. Teilweise führen bereits einfache, pragmatische Lösungen, die Kreuzungen vereinfachen und entzerren, zu einem fühlbaren Sicherheitsgewinn. Gegen Einschränkungen für den Kfz-Verkehr zugunsten sicheren Radverkehrs werden hierzulande oft noch politische Bedenken angeführt.
Aus den niederländischen und dänischen Erfahrungen mit der Realisierung von Kreuzungen lassen sich hilfreiche Elemente und zentrale Qualitätskriterien ableiten. Bei der Planung sollten bereits erfolgreich integrierte Lösungskonzepte adaptiert werden. Im geltenden deutschen Regelwerk befinden sich ebenso hilfreiche Ansätze.
Letztlich muss jeder Straßenraum und Knotenpunkt individuell hinsichtlich der jeweiligen Verkehrssituation bewertet und geplant bzw. angepasst werden. Gute Lösungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf eine allseitige Akzeptanz treffen.
Literatur
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