Wichtiges Element im Baukasten der Verkehrsplanung
Fahrradstraßen

Einführung
Bereits im Jahre 1978 entstand in der Freien Hansestadt Bremen mit der Herbststraße die erste Fahrradstraße Deutschlands nach einem Vorbild aus Amsterdam. Das Element war damals nicht in der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) vorgesehen und wurde auch nur als „Hilfsmittel“ erfunden, um Einbahnstraßen für den Radverkehr in beide Richtungen zu öffnen. Dies war zu dieser Zeit laut StVO auf herkömmlichen Straßen nicht möglich. Der Prototyp der Fahrradstraße wurde auch zunächst „Radfahrerzone“ genannt und bestand aus einem angeordneten Zweirichtungsradweg, auf dem das Fahren mit dem Kfz in eine Richtung erlaubt war (ADFC Bremen 2017).
1982 wurden dann von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) für ein Forschungsvorhaben drei Fahrradstraßen in Bremen untersucht und im Nachgang drei weitere Fahrradstraßen eingerichtet (BMVBS 1991). Diese erzeugten in der Fachwelt viel Aufmerksamkeit und animierten mit der Zeit diverse weitere Kommunen, ebenfalls über die Einrichtung einer Fahrradstraße nachzudenken. Mit der StVO-Novelle im Jahr 1997 war es dann soweit und die Fahrradstraße wurde offiziell dort verankert, ebenso wie die Möglichkeit, Einbahnstraßen für den Radverkehr in die Gegenrichtung freizugeben. Seit dieser Zeit sind in Deutschland (und in einigen weiteren europäischen Ländern) in zahlreichen Kommunen Fahrradstraßen entstanden. Wie viele es genau sind, ist nicht bekannt, aber die Zahl steigt stetig.
Rechtliche Rahmenbedingungen
Laut StVO können Fahrradstraßen aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs (§ 45 Abs. 1, Satz 1) oder zur Unterstützung einer städtebaulichen Entwicklung (§ 45 Abs. 1b Nr. 5) angeordnet werden. Das Verkehrszeichen (VZ) 244.1 der StVO (Anlage 2, Nummer 23) markiert den Beginn einer Fahrradstraße. Soweit sie nicht durch ein Zusatzzeichen freigegeben sind, sind andere Fahrzeuge außer Fahrrädern und Elektrokleinstfahrzeugen auf Fahrradstraßen verboten. Mit der StVO-Novelle 2020 wurde ergänzt, dass das Überqueren einer Fahrradstraße durch andere Fahrzeuge an einer Kreuzung zum Erreichen der weiterführenden Straße gestattet ist. Dies erfordert zukünftig weniger Schilder an Querungsstellen. In Fahrradstraßen gilt eine Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h und der Kraftfahrzeugverkehr muss seine Geschwindigkeit gegebenenfalls weiter reduzieren, da der Radverkehr weder gefährdet noch behindert werden darf. Der charakteristischste Punkt von Fahrradstraßen ist jedoch, dass das Nebeneinanderfahren von Fahrrädern hier erlaubt ist. Dies ist zwar in „herkömmlichen“ Straßen grundsätzlich auch gestattet, gilt aber dort nur, solange andere Verkehrsteilnehmende nicht behindert werden. Die StVO schließt mit dem Hinweis „Im Übrigen gelten die Vorschriften über die Fahrbahnbenutzung und über die Vorfahrt.“

Da Fahrradstraßen auch im Zusammenhang mit einem städtebaulichen Verkehrskonzept und einer städtebaulichen Entwicklung eingerichtet werden können (§ 45 Abs. 1b Nr. 5 StVO), kann dies auch genutzt werden, um Lücken im Radverkehrsnetz zu schließen. Dabei muss der Radverkehr nicht auf allen Abschnitten vorherrschend sein. In der Regel wird der Anteil des Radverkehrs aber automatisch höher bzw. der Radverkehr nach einer „Gewöhnungszeit“ die vorherrschende Verkehrsart, wenn die Fahrradstraße gut umgesetzt ist. Die VwV-StVO betont, dass in Fahrradstraßen anderer Fahrzeugverkehr nur in Ausnahmefällen zugelassen werden darf und führt hier als Beispiel den Anliegerverkehr auf. Sie legt daher fest, dass vor einer „Anordnung die Bedürfnisse des Kraftfahrzeugverkehrs ausreichend berücksichtigt werden (alternative Verkehrsführung)“ müssen.

Sowohl die Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen wie auch die Empfehlungen für Radverkehrsanlagen sind in ihren Ausführungen zu Fahrradstraßen recht knapp gehalten. Aktuell werden beide Regelwerke überarbeitet und die jeweiligen Inhalte aufeinander abgestimmt. Die Neufassung der ERA wird ein ausführliches Kapitel zum Thema Fahrradstraßen beinhalten.
Status Quo und Gestaltungsempfehlungen für Fahrradstraßen
Fahrradstraßen sind eine vergleichsweise sichere Führungsform für den Radverkehr in Deutschland. Dies gilt auch für sehr hohe Radverkehrsstärken. Die Unfallschwere liegt etwa auf dem Niveau von Nebenstraßen und insgesamt unterhalb des innerörtlichen Durchschnitts (GDV 2015, 2016). Die meisten Radfahrenden in Fahrradstraßen verunfallen an den Zwischenknotenpunkten durch Kraftfahrzeuge (Kfz), die unvorsichtig in die Straße einfahren. Auf der Strecke verunfallen die meisten Radfahrenden durch unachtsam geöffnete Autotüren („Dooring“).
Die GDV-Studie aus 2016 zu Fahrradstraßen hat mittels einer Verkehrsteilnehmendenbefragung herausgefunden, dass bezüglich der geltenden Regeln in Fahrradstraßen große Wissenslücken existieren – und zwar sowohl auf Seiten der motorisierten Verkehrsteilnehmer*innen wie auch auf Seiten der Radfahrenden. Insbesondere die Regeln, dass der MIV nur bei einem Zusatzschild in Fahrradstraßen erlaubt ist, dass Radfahrende nicht automatisch Vorfahrt haben und dass Radfahrende nebeneinander fahren dürfen, sind nur 25 bzw. 50 % der Verkehrsteilnehmenden bewusst. Auch die wichtige Regelung der generellen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h ist mehr als 40 % der Befragten unbekannt (GDV 2016).
Aktuelle Untersuchungen aus dem Bereich der subjektiven Sicherheit zeigen, dass das Fahren auf der Fahrbahn gemeinsam mit dem Kfz-Verkehr vor allem bei unsicheren Verkehrsteilnehmenden unbeliebt ist (Eltern mit Kindern, Senior*innen, Neulinge auf dem Rad) (FixMyCity 2020). Hintergrund ist, dass sich Radfahrende im vom Kfz-Verkehr dominierten Verkehrsraum an den Rand gedrängt und damit subjektiv unsicher fühlen. Auch wenn objektive Sicherheitskennziffern häufig einen reibungslosen Verkehrsablauf dokumentieren, weichen Radfahrende auf Fußgängerflächen aus, so dass es dort zu neuen Konflikten und Gefahrenmomenten kommt. Damit die Fahrbahn als Verkehrsraum für den Radverkehr von der großen Mehrheit der Radfahrenden akzeptiert wird und auch die Kfz-Fahrenden defensiver fahren, muss der Radverkehr die Geschwindigkeiten und Verkehrsabläufe prägen.
In einer Studie der Bergischen Universität Wuppertal und des Deutschen Instituts für Urbanistik hat sich das Verhältnis zwischen Rad- und Kfz-Verkehr als entscheidend für die Funktion der Fahrradstraße herausgestellt. Wenn mindestens ebenso viele Radfahrende wie Kfz über den gesamten Tagesverlauf auf der Straße unterwegs waren, so wurde auch bei hohen Kfz-Verkehrsstärken (> 400 Kfz/h) die Fahrbahn vom Radverkehr angenommen und die Zahl der Radfahrenden auf dem Gehweg ging zurück. Für andere Faktoren wie z.B. die reine Kfz-Verkehrsstärke oder Markierungen auf der Straße konnte kein Einfluss auf die Fahrbahnnutzung des Radverkehrs nachgewiesen werden (Uni Wuppertal/Difu 2020).
Hinsichtlich der Gestaltung von Knotenpunkten, an denen die Fahrradstraße gegenüber den einmündenden Straßen bevorrechtigt geführt wird, hat sich die Ausbildung einer Gehwegüberfahrt als sicherste Variante herausgestellt. Hier konnten in der Studie am wenigsten Konflikte zwischen einbiegendem und kreuzendem Kfz-Verkehr und dem Radverkehr auf der Fahrradstraße beobachtet werden. Auch bei anderen baulichen Maßnahmen, wie z.B. einer Anhebung der Fahrbahn, konnten weniger Konflikte beobachtet werden als bei einer reinen Beschilderung durch Zeichen 301 oder Zeichen 306. Bei der Untersuchung konnten keine Zusammenhänge zwischen Farbflächen (unabhängig von der Farbe) und der Zahl an behindernden und kritischen Interaktionen auf der Fahrradstraße festgestellt werden.

Auf Fahrradstraßen mit Sicherheitstrennstreifen mit einer Breite von 0,75 m zum ruhenden Verkehr war das Unfallgeschehen zwischen dem ruhenden Verkehr und dem Radverkehr auf der Fahrbahn geringer. Außerdem wurden weniger behindernde und kritische Interaktionen zwischen dem ruhenden Verkehr und dem Radverkehr beobachtet, was einem messbaren Anstieg des Fahrkomforts für den Radverkehr gleichkommt. Ein anderer Aspekt ist, dass Sicherheitstrennstreifen die Fahrradstraße von jedem Standpunkt aus als solche erkennbar machen. Bei der Anlage ist es wichtig, dass regelmäßige Fahrradpiktogramme auf der Fahrbahn markiert werden, da sonst eine Verwechslungsgefahr mit dem Infrastrukturelement Schutzstreifen besteht und Radfahrende im Dooring-Bereich fahren. Der Sicherheitstrennstreifen kann ggf. auf ein Mindestmaß von 0,50 m reduziert werden, wenn die verfügbaren Breiten für Regelmaße nicht ausreichen, gute Sichtbeziehungen vorhanden sind und nur wenige Parkwechselvorgänge beim Anwohnerparken zu erwarten sind.

Fahrradstraßen sollten für den Radverkehr angenehm befahrbare Fahrbahnbreiten besitzen. Maßgeblich ist dabei der Begegnungsfall Rad + Kfz. Hierfür ist im Regelfall eine Breite von 4,00 m notwendig. Sind Parkstände vorhanden, sollten immer die notwendigen Sicherheitsräume angelegt werden. Bei geringen Verkehrsstärken sind auch schmalere Fahrgassen möglich. Als Fahrgasse ist hier der Raum zwischen den Sicherheitstrennstreifen gemeint. In den untersuchten Fahrradstraßen konnte zum Beispiel bei einer Fahrgassenbreite von 3,50 m und 100 Kfz pro Stunde sowie 100 Radfahrenden pro Stunde ein noch reibungsloser Verkehrsablauf dokumentiert werden. Bei hohen Verkehrsstärken (1.000 Rad/h und 200 Kfz/h) konnte bei einer Fahrgassenbreite von 3,00 m zwar immer noch ein fließender Verkehrsablauf beobachtet werden, allerdings war eine Verlagerung der mittleren Fahrlinie des Radverkehrs in den Dooring-Bereich trotz Sicherheitstrennstreifen messbar.
Ist ein Knoten im Zuge der Fahrradstraße durch eine Lichtsignalanlage geregelt, dann sollten großzügig dimensionierte Aufstellbereiche mit hinführenden Schutzstreifen in ausreichender Länge markiert werden. In der Untersuchung zeigte sich, dass dann, wenn der Schutzstreifen von Kraftfahrzeugen überstaut wurde, zahlreiche Radfahrende auf den Gehweg und in den Gegenverkehr auswichen.
In zwei Untersuchungsfällen mit mehr als 7.000 Radfahrenden pro Tag auf der Fahrradstraße konnten Probleme mit der Wartepflicht der Fahrradstraße an Netzübergängen mit der Beschilderung durch Zeichen 205 oder 206 beobachtet werden. Bei Planungen mit diesen Radverkehrsstärken sollte über eine Lichtsignalregelung, einen Kreisverkehr oder eine Bevorrechtigung der Fahrradstraße nachgedacht werden (Uni Wuppertal/Difu 2020).
Fazit
Fahrradstraßen sind ein wichtiges Element im Baukasten der Radverkehrsplanung. Sie können den Radverkehr bündeln, beschleunigen und komfortabel machen – und das alles bei einer sehr hohen Verkehrssicherheit. Dabei reicht es bei weitem nicht aus, lediglich das Fahrradstraßen-Schild VZ 244.1 aufzustellen. Diese „Infrastruktur-Maßnahme“ ist zwar sehr kostengünstig, erzielt in der Praxis allerdings meist keinen Mehrwert für die Sicherheit und Ordnung des Radverkehrs sowie für die Radverkehrsförderung.

Die Qualität und der Komfort einer Fahrradstraße stehen und fallen mit dem dort vorhandenen oder nicht vorhandenen Durchgangsverkehr der Kfz. Existierender Durchgangsverkehr sollte unbedingt mit Hilfe von Diagonalsperren, sonstigen Durchfahrtsperren oder gegenläufigen Einbahnstraßen aus der Straße genommen werden. Wird dies konsequent und erfolgreich für den kompletten Verlauf der Fahrradstraße umgesetzt, sind (fast) alle weiteren Maßnahmen ein optionaler Bonus. Denn wenn der Radverkehr das Verkehrsgeschehen prägt, kann die Fahrradstraße alle ihre Vorteile ausspielen. In diesem Fall wird sie auch Menschen ansprechen, die sich bisher nicht trauten, auf der Fahrbahn zu radeln. Neben der Reduzierung des Durchgangsverkehrs sind Sicherheitstrennstreifen zum Ruhenden Verkehr das zweite wichtige Element. Damit wird die ohnehin schon hohe Sicherheit der Fahrradstraße weiter erhöht und die Gefahr von Dooring-Unfällen minimiert.

Langfristig sollte eine einheitlichere Gestaltung von Fahrradstraßen erreicht werden, die zu einer besseren Erkennbarkeit für alle Verkehrsteilnehmenden führt. So kann eine Verbesserung der Verkehrsverhältnisse und der Verkehrssicherheit für den Radverkehr in Deutschland erreicht werden.
Literatur
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