Mehr Platz für das Fahrrad
Fahrradparken in Wohngebieten

Einführung
Das Zuhause ist einer der wichtigsten Hebel zur Beeinflussung der Verkehrsmittelwahl, denn dort beginnen und enden eine Vielzahl der täglichen Wege. Dabei ist bequemes und sicheres Fahrradparken am Wohnort eine bedeutende Voraussetzung für die Fahrradnutzung. Denn wer sein Fahrrad erst aus dem Keller oder der Wohnung auf die Straße tragen muss, verzichtet vielleicht gleich darauf und steigt eher ins Auto. Um dies zu vermeiden, sind sichere und gut zugängliche Abstellanlagen für die Bewohnerinnen und Bewohner wichtige Elemente der Radverkehrsförderung.
Fahrradparken in Wohngebieten
Neubaugebiete und Neubauten
Sichere und hochwertige Abstellanlagen für Fahrräder in neuen Wohngebieten bzw. bei Neubauten zu schaffen, ist insgesamt gesehen am einfachsten. Bei Einfamilien- oder Reihenhäusern mit Garage, Schuppen oder Abstellräumen ist oft genügend Platz für das Fahrrad. Schwieriger wird es beim Neubau dichter, mehrgeschossiger Bebauung. Hier sollten bereits beim Entwurf des Gebäudes die entsprechenden Räumlichkeiten vorgesehen werden – insbesondere da eine nachträgliche Umwidmung bereits vorhandener Räume sowohl funktional als auch gestalterisch meist eine Herausforderung ist. Ein gutes Beispiel für die Realisierung eines solchen Gebäudeentwurfes sowie dessen Umsetzung ist das Fahrradloft in Berlin, Preisträger „Deutscher Fahrradpreises 2016“ in der Kategorie Infrastruktur. In Malmö (Schweden) wurden 2017 das Cyckelhuset Ohboy eröffnet, eine Kombination aus fahrradfreundlichem Wohnhaus und Hotel. Das 2008 fertiggestellte Haus Bike City in Wien bietet für 99 Wohnungen ca. 330 Fahrradabstellplätze, die direkt auf den Stockwerken vor den Wohnungen liegen und per Aufzug bequem zu erreichen sind. Durch das Konzept wurden auch Menschen aufs Rad gebracht, die dieses vorher kaum nutzten [Reidl 2013].

Ermittlung des Bedarfs
Die Zahl der rechtlich erforderlichen Abstellplätze wird in der Regel durch die Bauvorschriften der Länder ermittelt. Diese legen fest, dass Wohngebäude über leicht erreichbare und gut zugängliche Abstellräume für Fahrräder verfügen müssen. Dabei beschränken die meisten Länder diese Forderung auf Gebäude der Gebäudeklassen 3 bis 5 (Gebäude mit mehr als zwei Nutzungseinheiten).
Konkret werden die Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg sowie die Flächenländer Sachsen und Baden-Württemberg. In unterschiedlichen Durchführungsregelungen geben sie die Anzahl der erforderlichen Abstellplätze vor. Die Bauordnungen anderer Bundesländer gestatten ihren Kommunen, über örtliche Satzungen Anzahl oder Gestaltung der erforderlichen Abstellplätze festzulegen [Zukunftsnetz Mobilität NRW 2017]. Die Stellplatzsatzung gilt allerdings nur bei Neu- und Umbauten, im Bestand haben die Kommunen keine Möglichkeit einzugreifen.
Der Leitfaden „Fahrradabstellplätze bei Wohngebäuden“ der Landeshauptstadt Potsdam empfiehlt, für ein gutes Angebot an Abstellanlagen wie folgt vorzugehen:
- Ermittlung der erforderlichen Anzahl und des Flächenbedarfs der Abstellanlagen.
- Bestimmung der realisierbaren Anzahl an Abstellplätzen und Abschätzung der Herstellungskosten.
- Abschätzung der Betriebskosten für die realisierbaren Abstellanlagen (Pflege/Wartung).
Für die Schritte 1. bis 3. wurde für den Leitfaden ein Excel-Tool entwickelt, das die Anwenderin oder den Anwender bei der Ermittlung des Bedarfs rechnerisch unterstützt [Landeshauptstadt Potsdam 2015]. Darüber hinaus kann für eine konkrete Bedarfsermittlung das Regelwerk der FGSV „Hinweise zum Fahrradparken“ genutzt werden [FGSV 2012].
Altbauten im Bestand
In den zentrumsnah gelegenen, dicht bebauten Stadtteilen im Bestand ist die Schaffung attraktiver Fahrradabstellanlagen besonders notwendig – oft aber aufgrund des Platzmangels auch besonders schwierig. Dabei ist der Bedarf an Stellplätzen groß: Ein typisches Mietshaus mit fünf oder sechs Etagen, Seitenflügel und Quergebäuden umfasst häufig mehr als 20 Wohneinheiten. Gleichzeitig wohnt hier oftmals ein junges und fahrradaffines Milieu.

Damit die Fahrradparkplätze in und am Wohnhaus von den Bewohnerinnen und Bewohnern entsprechend angenommen und genutzt werden, sind folgende Qualitätskriterien wichtig:
- Ausreichende Zahl der Stellplätze:
Abhängig von der Bewohnerstruktur sollten pro Wohnung mindestens zwei Stellplätze eingeplant werden. Empfehlenswert ist dabei auch die Berücksichtigung von zusätzlichem Raum für Kinderanhänger oder Lastenräder. - Einfacher Zugang zu den Abstellanlagen:
Da Treppen und enge Zuwege häufig ein sehr hohes Nutzungshemmnis darstellen, sollte der Zugang zu den Fahrradabstellanlagen auf Straßenniveau oder über flache Rampen erfolgen. Wichtig sind immer eine relative Nähe zum Eingangsbereich sowie eine ausreichende Beleuchtung, um den Nutzerinnen und Nutzer ein Sicherheitsgefühl zu vermitteln. - Schutz der Räder vor Diebstahl und Witterungseinflüssen:Innerhalb der Anlage sollten Fahrradbügel für einen sicheren Stand und eine Anschließmöglichkeit der Fahrräder sorgen. Sinnvoll sind ein abschließbarer Raum oder zumindest eine Überdachung der Abstellanlagen [Difu 2011].
Lage und Ausstattung der Abstellanlagen sowie Beispiellösungen
Lage
Abstellplätze sollten so nah wie möglich an den Hauseingängen liegen, wobei eine Maximalentfernung von 20 m sinnvoll ist, um die Fahrradnutzung so einfach wie möglich zu machen. Wichtig ist dabei auch, das Sicherheitsgefühl bei Dunkelheit zu berücksichtigen. Ausreichende Beleuchtung über einen Bewegungsmelder sowie die Einsehbarkeit des Eingangsbereiches sind hier wesentlich [Landeshauptstadt München 2012].
Ausstattung und Sicherung
Fahrradabstellanlagen sollten – sowohl ihm Außen- als auch Innenbereich – insgesamt so gestaltet werden, dass unterschiedliche Fahrradtypen, z.B. Lastenräder, Dreiräder, Kinderräder, standsicher abgestellt werden können. Anlehnbügel sind nicht nur als Diebstahlsicherung sinnvoll, sondern auch für die Standsicherung des einzelnen Fahrrades, vor allem um ein reihenartiges Umfallen zu vermeiden. Darüber hinaus ist bei diesen Abstellanlagen eine beidseitige Nutzung möglich. Fahrradbügel ermöglichen so eine Platzersparnis, die z.B. auch durch Doppelstock-Anordnungen erreicht werden kann. Wichtig ist, dass der Abstand zwischen abgestellten Fahrrädern so groß ist, dass die Räder ohne Beschädigungen und mit genügend Bewegungsfläche ein- und ausgeparkt werden können. Der Bedarfswert pro Fahrrad zuzüglich der Zufahrts- und Rangierflächen liegt bei 1,5 m², für Lastenräder, Fahrradanhänger etc. ist der Bedarf zu verdoppeln, also auf ca. 3 m². Es ist davon auszugehen, dass der künftige Bedarf aufgrund der steigenden Zahl dieser Räder weiter steigen wird und diese dann 5 – 10 % aller Abstellplätze einnehmen werden; in Stadtteilen mit hohem Radverkehrsanteil könnte dieser Wert auch höher liegen [Zukunftsnetz Mobilität 2017].

Für die Qualität von Fahrradabstellanlagen gibt es seit 2016 eine eigene Norm: DIN 79008 (Teil 1 und 2). Hersteller von Fahrradabstellanlagen finden hier die Vorgaben für die Mindestanforderungen von Abstellanlagen. Die Normen gelten seitdem als Grundlage für den Mindeststandard von funktionalen Abstellanlagen. Der ADFC testet Fahrradabstellanlagen auf ihre Gebrauchstauglichkeit und Sicherheit und verwendet diese Norm als Basis.
Mögliche Lösungen im Bestand und bei Neubauten
Einrichten eines Fahrradraumes
Bei bestehenden Gebäuden können z.B. leerstehende Räume im Erdgeschoss (z.B. aus umgestalteten Wohnungen, Geschäftsräumen, Müllräume) als Fahrradräume genutzt werden. Solche Räume sind für die Bewohnerinnen und Bewohner sehr gut nutzbar, da sie einfach zu erreichen sind und Fahrräder, Lastenräder oder Pedelecs sicher vor Diebstahl und geschützt vor den Witterungsbedingungen abgestellt werden können.
Wie eingangs beschrieben, sollten beim Neubau eines Mehrfamilienhauses bereits beim Entwurf des Gebäudes die entsprechenden Räumlichkeiten vorgesehen werden. Neben den genannten Projekten Fahrradloft, Cyckelhuset Ohboy und Bike City ist das Bauprojekt Kalkbreite in Zürich ein gutes Beispiel für eine solche Vorgehensweise. An drei Standorten im Gebäude gibt es Parkflächen für Fahrräder, meist Doppelstockparker, sowie Stellflächen für Kinderwagen, Spezialräder und Anhänger. Zwei Räume im Erdgeschoss bieten insgesamt 241 Stellplätze. Sie sind überwiegend reserviert für Bewohnerinnen und Bewohner und im Haus Arbeitende, 15 Stellplätze sind reserviert für Gäste des Hauses. Letztere sind von 8 – 20 Uhr offen zugänglich, die anderen jederzeit, aber nur mit Hausschlüssel. Darüber hinaus gibt es noch weitere 40 Stellplätze in Doppelstockparkern im Untergeschoss. Monatlich zahlen die Bewohnerinnen und Bewohner 10 CHF je Platz, die mit der Wohnungs- oder Gewerbemiete verrechnet werden. Die Stellplätze für Kinderwagen, Spezialvelos und Anhänger sind mietfrei.
Einrichten eines Fahrradkellers
Mehrfamilienhäuser sind in der Regel mit einem Kellergeschoss ausgestattet, das allerdings nur über eine steile Treppe erreicht werden kann. Fahrräder werden hier eher zum „Überwintern“ abgestellt und nicht für den täglichen Gebrauch. Besteht die Möglichkeit, könnte der Zugang zum Keller durch z.B. eine Schieberille ergänzt werden. Gibt es die Aufteilung und Statik des Hauses her, kann auch über eine Verbreiterung der Kellertür und -treppe oder einen Zugang von der Straße her nachgedacht werden.
Bei Neubauten bieten sich oftmals – wenn geplant – Abstellanlagen in der Tiefgarage an. Hier sollte jedoch darauf geachtet werden, dass sich die Abstellplätze nahe dem Treppenhaus befinden und sie problem- und mühelos mit einem Aufzug oder einer entsprechend leicht erreichbaren Rampe ausgestattet sind.
Platz schaffen im Innenhof
Abstellplätze im Innenhof können in Form von offen zugänglichen oder abzuschließenden, überdachten Anlagen bereitgestellt werden. Eine Vermietung bietet sich insbesondere dann an, wenn pro Wohnung ein abschließbarer Abstellraum im Innenhof vorhanden ist. Bei geringem Platzangebot im Innenhof bieten sich kleinere Einheiten oder Anlehnbügel an. Für kurzzeitig abgestellte Fahrräder sind eingangsnahe Anlehnbügel besonders sinnvoll.
Fahrradparken im Straßenland
In Altbauquartieren fehlt oftmals der Platz, qualitativ hochwertige Anlagen in ausreichender Anzahl zur Verfügung zu stellen. Die Stadt Hamburg bietet daher die Möglichkeit, bei fehlendem Platz abschließbare Fahrradhäuschen im öffentlichen Straßenland zu errichten, wenn dort ausreichende Flächen vorhanden sind. Für die Aufstellung eines Fahrradhäuschens bedarf es einer Sondernutzungsgenehmigung. Abzüglich der städtischen Förderung kostet jeder Stellplatz etwa 250 Euro, die aus privaten Mitteln aufgebracht werden müssen. Auch in der Stadt Dortmund gibt es mittlerweile einige Fahrradhäuschen. Die Stadt Mainz bietet Anwohnenden und Pendelnden die Möglichkeit, ihr Fahrrad in einem Fahrradpavillon unterzustellen.

Die Stadt Nürnberg gewann 2016 den Deutschen Fahrradpreis in der Kategorie Infrastruktur für ihr Projekt „Radständer für die Nordstadt“. Unter intensiver Beteiligung von Anwohnenden und dem Einzelhandel wurden bis Ende 2016 an 155 Standorten 500 Radständer errichtet. Damit wurden der Zugang zum Rad leichter, die Diebstahlgefahr reduziert und das wilde Abstellen von Rädern eingeschränkt. Auch in anderen Stadtteilen gibt es mittlerweile an zahlreichen Standorten neue Abstellmöglichkeiten oder diese sind für die nächsten Jahre geplant.
Fazit
Um die Nutzung des Fahrrades attraktiver zu gestalten, sind qualitativ hochwertige Abstellanlagen ein wichtiger Faktor. Sie sollten in ausreichender Zahl vorhanden und leicht erreichbar sein. Nur wenn die Hürden für die Nutzung des Fahrrads so niedrig wie möglich gehalten werden, kann die Zahl der Menschen, die täglich ihr Rad nutzen, signifikant erhöht werden.
Literatur
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