Lokales Wissen und Engagement nutzen
Bürgerbeteiligung als Baustein für erfolgreiche Radverkehrsförderung

Einführung
Bei Bürgerbeteiligungsverfahren ist zwischen formeller Beteiligung (Bauleitplanung, Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren, Volksentscheiden) und informeller Beteiligung zu unterschieden. Im Bereich Radverkehr spielen vor allem informelle Beteiligungsverfahren eine wichtige Rolle und stehen daher im Folgenden im Fokus (vgl. Krause 2017: 12).
Zwischen Kommunikation und Beteiligung
Kommunikations- und Beteiligungsmaßnahmen sind wichtige Instrumente, um Maßnahmen zu entwickeln und gut zu „verkaufen“. Zwischen diesen beiden Instrumenten sollte unterschieden werden, auch wenn die Grenzen z.T. fließend sind.
Kommunikationsmaßnahmen und Marketing sind für die einseitige Ansprache von Zielgruppen geeignet. Es geht weniger um Dialog, sondern eher um die Vermittlung von Botschaften. Beispielhaft stehen hierfür Verkehrssicherheitskampagnen (Bsp. „Bitte freimachen“), Kampagnen zu Mobilitätsverhaltensänderung (Bsp. „Radlhauptstadt München“) oder zu neuer Infrastruktur (Bsp. „Schutzstreifen-Schutztruhe“).
Bei Beteiligung steht hingegen der wechselseitige Austausch von Ideen, Ansichten und Wissen zwischen Verwaltung und Planenden einerseits sowie der Bürgerschaft andererseits im Vordergrund. Gute Beispiele zeigen, dass durch frühzeitige und adäquate Einbindung z.B. von Anwohnenden Konflikte entschärft oder alternative Lösungen für Problemstellungen gefunden werden können. Der Zeitpunkt, die Art und der Umfang von Partizipationsverfahren sind je nach geplanter Maßnahme und Zielsetzung unterschiedlich und hängen nicht zuletzt von zeitlichen, technischen und finanziellen Ressourcen in der Kommune ab (vgl. Benighaus et al. 2016: 33, 85.)
Beteiligungsmethoden
Im Bereich der Bürgerbeteiligung hat sich in den letzten Jahrzehnten eine Vielzahl von Methoden und Verfahrensweisen herausgebildet (vgl. ebd.: 48 ff.) Je nach Zielsetzung des Verfahrens und gewünschter bzw. leistbarer Beteiligungsintensität sowie Zielgruppe sollte eine geeignete Methode ausgewählt werden. Eine erste Orientierung bietet folgende Aufstellung: (vgl. Krause 2017: 17 f.):
- Beim Erkunden von Interessen und Meinungen geht es darum, von den Betroffenen Ansichten und Wissen zu bestimmten Problemlagen zu erlangen. Diese können als erste Strukturierung für weitere Beteiligungsmaßnahmen genutzt werden und in den Planungsprozess einfließen.
Mögliche Methoden für diesen Schritt sind z.B.:- Befragungen, Interviews, Gruppendiskussionen
- Um für den Beteiligungsgegenstand und das Verfahren zu werben, bietet es sich für Planende an, über verschiedene Informationswege die Meinungsbildung von Bürgerinnen und Bürgern zu fördern und sie zu informieren.
Mögliche Methoden umfassen u.a.:- Informationsveranstaltungen, Aushänge, Webseiten, Kampagnen, Medien
- Sollen die Betroffenen an Planungsprozessen mitwirken und beteiligt werden, ist eine tiefergehende Planung für einen solchen Dialogprozess nötig. Die Beteiligung kann im Prozess sowohl vonseiten der Bürgerinnen und Bürger als auch von den Planenden ausgehen.
Mögliche Methoden sind u.a.:- Planungsworkshops, Zukunftswerkstatt
- Im Bereich der Kooperation ist die klare Aufgabenteilung aufgehoben. Hier bearbeiten Planende und Betroffene die Aufgabenstellung kooperativ und bereiten Entscheidungen zwischen öffentlichen und privaten Akteuren vor.
Mögliche Methoden sind u.a.:- Lokale Partnerschaften oder Runde Tische
Diese Stufen können auchkombiniert werden, um so z.B. die Intensität der Beteiligung bei komplexen Planungsprozessen stetig zu steigern. Natürlich kann Bürgerbeteiligung auch mit einer einzelnen Beteiligungsmethode bereits wertvollen Input für Planungen im Radverkehr hervorbringen (vgl. Benighaus et al. 2016: 85 f.).
Erwartungsmanagement
Bevor ein Beteiligungsprozess begonnen wird, sollte vorab deutlich intern und extern kommuniziert werden, was der Gegenstand der Beteiligung ist und in welchem Umfang Input seitens der Bürgerinnen und Bürger berücksichtigt und bearbeitet werden kann. Hierfür sollten Rollenverteilung zwischen Beteiligten und Beteiligenden, Regeln zur Konsensfindung, Feedbackkanäle und ein Zeitmanagement geklärt werden. Ein solches „Erwartungsmanagement“ ist ein wichtiger Bestandteil von Beteiligungsverfahren, um Enttäuschungen oder Frust vorzubeugen.
Zielgruppen
Bei Beteiligungsverfahren sollte stets versucht werden, möglichst alle Betroffenen zu erreichen, um ihnen frühzeitige Mitsprache zu ermöglichen. Damit dies gelingt, müssen die unterschiedlichen finanziellen, zeitlichen, kulturellen und auch technischen Voraussetzungen der Zielgruppen berücksichtigt werden.
Als problematisch stellt sich üblicherweise das Beteiligungsspektrum bei klassischen Bürgerversammlungen dar, das sich aus „sozial aktiven“ Bevölkerungsteilen zusammensetzt. Vor allem Bürgerinnen und Bürger aus sozial benachteiligten Verhältnissen sowie Jugendliche, Kinder aber auch Migrantinnen und Migranten nehmen tendenziell weit weniger an solchen Veranstaltungen teil.
Zudem erscheinen oftmals eher jene Bürgerinnen und Bürger, die von einer Maßnahme negativ beeinflusst sind (z.B. bei Umwidmung von Parkplätzen für Radwege) (vgl. Krause 2017: 4). Meist artikulieren sich diese Stimmen erst spät im Prozess, wenn die Betroffenheit für die Bürgerinnen und Bürger deutlich wird. Das Interesse an Beteiligung steigt somit umgekehrt proportional zu den Möglichkeiten der Einflussnahme. Wenn also etwaige Maßnahmen bereits Gestalt angenommen haben, ist das Beteiligungsinteresse besonders groß, die Einflussnahmemöglichkeiten sind jedoch bereits begrenzt. Dieses „Beteiligungsparadoxon“ sollte bei Planung und Konzeption berücksichtigt werden (vgl. BBSR 2017: 32).

Auch beim Einsatz von digitalen Beteiligungsmethoden müssen die verschiedenen Zielgruppen bedacht werden. Gerade ältere bzw. weniger technikaffine Menschen werden bei diesen Methoden eher von einer Beteiligung ausgeschlossen oder zumindest abgehalten (vgl. Krause 2017: 10).
Diese möglichen Probleme bei der Zielgruppenansprache bzw. -erreichung gilt es, bei der Methodenwahl zu berücksichtigen. Um Beteiligung für eine möglichst breite Gruppe zu ermöglichen, sollte ein Methodenmix angestrebt werden. Dieser kann beispielsweise aus Online-Beteiligungsformaten und Präsenzveranstaltungen bestehen. Mittels Befragungen kann zudem außerhalb (radverkehrs)aktiver Gruppen ein Meinungsbild eingeholt werden. (vgl. Benighaus et al. 2016).
Bürgerbeteiligung im Radverkehr
Die Art und Weise der Bürgerbeteiligung hängt maßgeblich vom konkreten Beteiligungsgegenstand ab. Im Bereich Radverkehr lassen sich zwei übergeordnete Bereiche definieren:
- Radverkehrskonzeption und -planung
- Qualitätssicherung im Radverkehr
Bürgerbeteiligung auf konzeptioneller Ebene
Bei der Entwicklung von Radverkehrsrahmenplänen, Radverkehrskonzepten oder anderen konzeptionellen bzw. strategischen Planungswerken ist die Beteiligung der Öffentlichkeit, sinnvoll. Die Intensität der Beteiligung hängt dabei von den genannten Ressourcen (personelle, zeitliche, finanzielle) ab. Um lokale Problemlagen zu identifizieren und gute Lösungen für den Radverkehr zu finden, sollte ein Forum für Ideen, Wünsche und Anmerkungen ermöglicht werden.
Auch bei eher kleinteiligen und spezifischen Maßnahmen ist eine Beteiligung bei der Planung und Konzeptionierung sinnvoll. Beispielhaft steht hier der Bereich Radabstellanlagen. Der Bedarf an Fahrradparkplätzen lässt sich mit planerischen Mitteln abschätzen. Das Wissen und die Einschätzungen der Nutzenden sind jedoch sehr wichtige ergänzende Quellen. Die fachlichen Analysen und den Input der Nutzenden zusammenzubringen, erhöht die Qualität der Planung und Umsetzung von Radverkehrsmaßnahmen (vgl. ARGUS 2015: o.S.).
Bürgerbeteiligung zur Qualitätssicherung im Radverkehr
Um die bestehende Radinfrastruktur in der Kommune zu unterhalten und Gefahrenstellen sowie Schäden möglichst schnell zu beseitigen, sind Hinweise von Radfahrenden eine wichtige Quelle. Dies gilt z.B. für Schlaglöcher oder Wurzelaufbrüchen auf Radwegen oder z.B. auch für fehlende oder verwitterte Wegweisung oder auch nicht nutzbare Radabstellanlagen. Um solche Meldeplattformen erfolgreich zu betreiben, sollten genügend Personalressourcen vorhanden sein, um den Meldungen nachzugehen und insbesondere den Meldenden Feedback zu geben. Wie mit den Meldungen umgegangen wird und wer für die Bearbeitung zuständig ist, sollte daher vorab eindeutig geklärt sein. Je nachdem, welches Instrument für das Angebot genutzt wird (E-Mail-Adresse, Telefonnummer, Online-Plattform, Smartphone-App), ergeben sich zudem unterschiedliche Anforderungen und Automatisierungsgrade (s.u. Praxisbeispiele).
Instrumente der Bürgerbeteiligung in der kommunalen Praxis
Die Bandbreite von Beteiligungsinstrumenten ist groß. Neben klassischen „analogen“ Beteiligungsveranstaltungen zum Thema Radverkehr spielen digitale Beteiligungstools eine immer größere Rolle. Einige Beteiligungsformate, sowohl on- als auch offline, werden im Folgenden anhand von Praxisbeispielen aus der kommunalen Radverkehrsplanung vorgestellt.
Digitale Mängelmeldung zur Qualitätssicherung im Radverkehr
Digitale Beteiligungstools bieten eine niedrigschwellige, ressourcenschonende und strukturierte Möglichkeit der Beteiligung an verschiedenen Radverkehrsthemen. Das lokale Radverkehrswissen kann über Internetplattformen, Smartphone-Apps oder per E-Mail gesammelt werden und in die Planungs- und Entscheidungsprozesse einfließen. Im Bereich digitaler Mängelmelder gibt es bereits gute Beispiele, wie z.B. die „Meldeplattform Radverkehr“ oder die „Meldeplattform RADar!“, die u.a. im Schwerpunkthema Digitale Tools für die Radverkehrsplanung der Fahrradakademie beschrieben sind. Auf diesen Plattformen werden üblicherweise Mängel an der Radinfrastruktur (Schlaglöcher, Glas, Wurzelbrüche usw.) gemeldet. Viele sind allerdings auch offen für weitergehende Vorschläge, wie z.B. neue Radabstellanlagen oder veränderte Wegeführung.

Während diese Instrumente relativ aufwändige, kartenbasierte Angebote sind, kann auch eine E-Mail-Adresse für spezielle Meldungen (z.B. unsichere Baustellen) bereits ein sinnvolles Beteiligungsinstrument sein. Ohne großen technischen Aufwand kann so ein Kommunikationskanal geschaffen werden, der lediglich gut beworben werden sollte und auf Verwaltungsseite einer adäquaten Personalausstattung zur Bearbeitung der Meldungen bedarf.
Systematischer Aufbau von Radabstellanlagen mit Bürgerbeteiligung
Ein häufiger Hinderungsgrund für die Fahrradnutzung ist der Mangel an zielnahen Radabstellanlagen. Um diesem Mangel in der Nürnberger Nordstadt zu begegnen, wurden u.a. mittels E-Partizipation Standorte für den Bau und die Erweiterung von Abstellanlagen identifiziert. Zunächst wurden der Bestand und ein Bedarfsraster entwickelt und schließlich 130 Abstellstandorte verwaltungsintern identifiziert. Diese Standorte konnten während einer vierwöchigen Online-Beteiligungsphase von Bürgerinnen und Bürgern bewertet werden. Gleichzeitig wurden 105 weitere Standorte von den Teilnehmenden vorgeschlagen. Diese wurden verwaltungsintern geprüft und zu jedem Vorschlag ein Feedback gegeben. Begleitet wurde die Online-Beteiligung durch verschiedene Marketingmaßnahmen wie Pressearbeit, Plakatierung auf Werbeträgern im Stadtteil und Verteilung von Fahrradsattelüberzügen im Stadtteil.

Auch der Einzelhandel vor Ort wurde eingebunden. Die Besitzer der Geschäfte, vor denen Radständer geplant wurden, wurden über die Details des Vorhabens informiert und konnten sich dazu äußern. Darüber hinaus wurden 15 Geschäfte als Paten einer Verlosung von 15 hochwertigen Fahrradschlössern gewonnen. In den teilnehmenden Läden konnten sich die Bürgerinnen und Bürger noch einmal über das Projekt informieren und Karten für die Verlosung ausfüllen und abgeben.
Erstellung eines Radverkehrsplans mit webbasierter Bürgerbeteiligung
Für die Erstellung des Radverkehrsplans des Schwarzwald-Baar-Kreises wurde eine Online-Bürgerbeteiligung durchgeführt. So sollte die Datengrundlage für die Maßnahmenpriorisierung mit lokalem Wissen und Anregungen angereichert werden. Für einen Zeitraum von drei Monaten bestand die Möglichkeit, auf der Online-Plattform Anregungen zu formulieren und einzustellen. Insgesamt haben sich 154 Bürger mit 236 Meldungen beteiligt. Diese Anregungen sind anschließend über einen Gewichtungsschlüssel in die Prioritätensetzung zur Umsetzung der jeweiligen Maßnahme eingeflossen. Des Weiteren wurden der Radverkehrsplan transparent entwickelt und alle Ergebnisse auf der Ergebnisplattform veröffentlicht. Neben den Ergebnissen findet sich auf der Ergebnisplattform auch eine Stellungnahme zu allen eingegangen Bürgermeldungen.

Bürgerradwege in Nordrhein-Westfalen
Im vom Land NRW initiierten Projekt Bürgerradwege für NRW wurden seit 2005 viele Kilometer Radwege an Landesstraßen unter enger Beteiligung und Mithilfe von Bürgerinnen und Bürgern realisiert. Bei diesem Ansatz können sich Bürgerinnen und Bürger als Initiative zusammenschließen oder zusammen mit den zu beteiligenden Kommunen, den Kreisen und dem Landesbetrieb Straßen.NRW ein gemeinsames Projekt auf den Weg bringen. Bei den Projekten handelt es sich meist um den Bau eines Radweges an einer Landesstraße. Ist ein gemeinsamer Konsens zwischen allen Beteiligten gefunden, können beim Land Fördermittel beantragt werden. Die Streckenabschnitte können mit einem reduzierten Baustandard, jedoch nach dem aktuellen Stand der Technik und auch den aktuellsten Sicherheitsanforderungen gebaut werden. Dabei helfen viele Bürgerinnen und Bürger mit. Sie stellen kostenlos Grundstücke bereit, spenden Geld oder arbeiten bei dem Projekt selbst mit. Die Regionalniederlassungen von Straßen.NRW bieten die Übernahme der Koordination und Beratung bei der Umsetzung des Programms an.
Fazit
Das Interesse und Engagement von Bürgerinnen und Bürgern kann eine wichtige Ressource bei der kommunalen Radverkehrsentwicklung sein. Sie sollten durch geeignete Maßnahmen eingebunden werden. Instrumente der Bürgerbeteiligung sind dabei ein wichtiger und auch sinnvoller Bestandteil der Radverkehrsplanung. Lokales Wissen ergänzt die Sicht auf die Planung und führt zu einem besseren Verständnis für die Problemlagen. Gerade digitale Instrumente ermöglichen es auch mit geringem Aufwand, wertvolle Informationen zu generieren. Auch über die Bürgerschaft hinaus ist eine gute Kommunikation der Schlüssel für eine erfolgreiche Radverkehrsförderung.
Zur weiteren Vertiefung des Themas empfehlen wir das Buch Bürgerbeteiligung. Konzepte und Lösungswege für die Praxis von Benighaus, Wachinger und Renn.
Literatur
Kurzlink zu dieser Seite: nrvp.de/20559