Straßenumgestaltungen nach dem "Shared Space"-Gedanken
Einsatzbereiche und Einsatzgrenzen

Aufgabenstellung
Die zunehmende Umsetzung des "Shared Space"-Gedankens erfordert
belastbare Aussagen zu Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes bei
der Gestaltung von Straßenräumen. Im Auftrag der BASt
analysierte das Büro für Stadt- und Verkehrsplanung (BSV) Aspekte
des Verkehrs- und Interaktionsverhaltens, der Verkehrssicherheit
sowie der Gestaltung. Ziel war die Erarbeitung von Empfehlungen,
mit denen sich unter spezifischen Bedingungen örtlich angepasste
Lösungen finden lassen. Dabei sollten Gesichtspunkte der
Verkehrssicherheit, des Verkehrsablaufs sowie der städtebaulichen
und straßenräumlichen Qualität abgewogen werden können.
Untersuchungsmethode
Die aus einer deutschlandweiten Befragung ausgewählten Städte sowie
aus einer ergänzenden Literaturrecherche gewonnenen Erkenntnisse
bildeten die Grundlage der Untersuchung. Zur weitergehenden
Untersuchung wurden 17 Fallbeispiele aus Deutschland und der
Schweiz ausgewählt, die ähnliche Gestaltungsansätze aufwiesen.
Neben einer Unfallanalyse wurden Videobeobachtungen zur Analyse der
Interaktionen zwischen querenden Fußgängern beziehungsweise
Radfahrern und Kraftfahrern sowie Geschwindigkeitsmessungen mit
Erfassung der Verkehrsstärken durchgeführt. Zur straßenräumlichen
und verkehrlichen Untersuchung aus der Perspektive von
Sehbehinderten wurden zwei Fallbeispiele mit Simulationsbrillen
begangen. Ein Fallbeispiel wurde von tatsächlich Sehbehinderten an
Ort und Stelle bewertet. Zu zwei Fallbeispielen wurden Passanten zu
ihrem subjektiven Sicherheitsempfinden, insbesondere bei
Überquerungen, befragt. In die Beurteilung der Aufenthaltsqualität
flossen zusätzlich Ergebnisse aus den örtlichen Beobachtungen
ein.
Ergebnisse
"Begegnungszonen" nach geltenden Recht in der Schweiz und
"verkehrsberuhigte Geschäftsbereiche" gemäß § 45 Abs. 1d StVO
liegen auf einem identischen Geschwindigkeitsniveau. Die
verkehrsberuhigten Bereiche weisen aufgrund der niedrigeren
zulässigen Höchstgeschwindigkeit ein niedrigeres
Geschwindigkeitsniveau auf, aber auch deutlichere Überschreitungen.
Obwohl bei den verkehrsberuhigten Geschäftsbereichen bei einer
Geschwindigkeitsbeschränkung auf 20 km/h eine höhere
Höchstgeschwindigkeit zulässig ist, gibt es einzelne Fallbeispiele,
die das Niveau verkehrsberuhigter Bereiche erreichen.
Kraftfahrzeugfahrende nehmen sich in der Stunde mit dem höchsten
Querverkehrsaufkommen überwiegend zurück und ermöglichen Fußgängern
und Radfahrern das Überqueren der Fahrbahn. Auch bei hohen
Kfz-Belastungen steigt das überwiegend beobachtete rücksichtsvolle
Miteinander mit steigender Verkehrsstärke im Querverkehr an. Die im
Rahmen der Unfallanalyse festgestellte, äußerst geringe Anzahl
schwerer Personenschäden und schwerer Sachschäden ist auf die
insgesamt niedrigen Geschwindigkeiten zurückzuführen.
Die untersuchten Fallbeispiele verwenden bei einem nahezu
niveaugleichen Ausbau lineare Gliederungselemente. Für
Gehbehinderte mit Rollatoren oder Rollstühlen wurden kaum
Nutzungsprobleme festgestellt. Schwieriger stellt sich die
Orientierung für Blinde dar, da Führungslinien nicht immer
vorhanden oder nutzbar sind. Vor allem in offen gestalteten
Platzbereichen fehlt oftmals ein Leitsystem zur besseren
Orientierung. Konkrete Leitlinien für Sehbehinderte sind zwar nicht
zwingend erforderlich, deutliche Farbkontraste erleichtern ihnen
allerdings die Orientierung. Als besonderes Problem für
Sehbehinderte erwies sich die gestikulierte Abstimmung mit den
Kraftfahrzeugfahrenden. Sehbehinderte erkennen die Gestik der
Kraftfahrzeugfahrenden nicht, werden aber ohne Hilfsmittel
(beispielsweise Taststock) durch den motorisierten Verkehr nicht
identifiziert. Die Aufenthaltsqualität wird wesentlich durch die
Gestaltung des umliegenden Bereichs und die vorhandenen
Randnutzungen bestimmt. Ein geringes Geschwindigkeitsniveau sowie
eine entsprechende Gestaltung steigert das subjektive
Sicherheitsgefühl.
Folgerungen
Für eine erfolgreiche Umsetzung des "Shared Space"-Ansatzes bedarf
es der Einheit von Planung, Bau und Betrieb, insbesondere im
Zusammenspiel der städtebaulichen Gestaltung und der
verkehrsrechtlichen Ausweisung. Auf Basis der Forschungsergebnisse
wurde eine aktualisierte Fassung der "Hinweise zu Straßenräumen mit
besonderem Querungsbedarf Anwendungsmöglichkeiten des "Shared
Space"-Gedankens" erarbeitet.
- Forschung kompakt als Download: 18/2015 (PDF, 626KB)
- Zum Bericht: Einsatzbereiche und Einsatzgrenzen von Straßenumgestaltungen nach dem "Shared Space"-Gedanken Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Heft V 251, 2015
- Quelle: www.bast.de/DE/Publikationen/Foko/2015-2014/2015-18.html
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